Sternstunde der Selbstkasteiung: Xiu Xiu
am 7. November 2012 im Beatpol. »Tag der offenen Tür im Avantgarde-Pop: Jeder darf mal hereinschauen. Bleiben werden aber nur die, die sowieso schon da sind«, schrieb der Musikexpress zu Xiu Xius jüngstem Album »Always«. Und es sind nicht gerade viele, die schon da sind in Jamie Stewarts Queer-Kosmos aus Wahnsinn, (Selbst-)Zerstörung und Schmerz. Dabei zeigen Xiu Xiu gerade auf »Always« durchaus zugänglichere Momente, zumindest musikalisch, was sich aber natürlich auch nur als akustischer Schafspelz entpuppt. Aber immerhin.
Wie gesagt, es sind nicht viele, die schon da sind, entsprechend locker reiht sich auch das Publikum im Beatpol, als Jamie Stewart und Shayna Dunkleman, die auf der momentanen Tour als Stewarts Begleitpercussionistin fungiert, die Bühne betreten. Dass es nicht leicht werden wird, ist abzusehen. Aber was im Folgenden passiert, hat mit einem Tag der offenen Tür rein gar nichts mehr zu tun. Es fühlt sich eher an, als stünde man zwischen Tür und Zarge und erstere würde immer und immer wieder zugeschlagen. Wer Xiu Xiu noch nicht kennt und einen ungefähren Eindruck davon bekommen möchte, was hier genau gemeint ist, der ziehe sich mal eben »I Luv Abortion« oder »Black Drum Machine« rein, im Zeitalter der Musikstreamingdienste ist das ja nicht schwer. Zumindest akustisch versöhnlichere Momente oder gar so etwas wie Songstrukturen, die in der Geschichte von Xiu Xiu ja durchaus zu haben sind, finden hier und heute nicht statt. Stewart, der auf den ersten Blick eigentlich ganz harmlos wirkt, malträtiert zwecks Tonerzeugung sich selbst, allerlei skurrile Instrumente, diverse elektronische Low-Fi-Geräte und schießt mit einer Zwille (mutmaßliche) Eiswürfel gegen ein Becken, während Shayna Dunkleman als etwas versöhnlicherer Part der Apokalypse überaus elegant in ihrem opulenten Park aus diversen Vibraphonen, Becken, Trommeln und Glocken herumtobt. So etwas wie Kommunikation mit dem Publikum findet natürlich überhaupt nicht statt und dass sich die beiden am Ende doch noch zu einem Da-Capo bewegen lassen, erstaunt eigentlich alle. Es wird eine kurze Stakkato-Session mit Drumsticks, die die beiden jetzt am Bühnenrand stehenden Protagonisten als Claves benutzen. Das alles mit »schön« oder auch nur »Musik« zu bezeichnen, wäre verfehlt. Und doch ist, um nicht gleich von einem Erweckungserlebnis zu sprechen, dieser Abend wohl eine Sternstunde für den Großteil des Auditoriums, eine die sich weit nachhaltiger ins Gedächtnis brennt, als die meisten anderen Konzerte. Wer den Weg durch diese Tür geschafft hat, wird bleiben in Stewarts Queer-Kosmos aus Wahnsinn, (Selbst-)Zerstörung und Schmerz und künftig vielleicht noch ein wenig tiefer darin eintauchen. André Hennig/ Fotos: Stefan Bast
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