Selbst schuld? – »Die Frau, die gegen Türen rannte« im projekttheater
27. Mai 2023 – Man muss sie wohl leider als Eine von vielen bezeichnen, diese Paula Spencer, die in diesem Stück des irischen Autors Roddy Doyle aus ihrem Leben erzählt, ihrer verkorksten Existenz, die schon zeitig in eine ungute Richtung abgebogen ist. Die blauen Flecken, für die sie immer wieder Ausreden finden muss, wie eben jene, sie sei aus Versehen gegen eine Tür gelaufen, sind als Indiz des körperlichen Missbrauchs durch ihren Mann Charlo nur einzelne Teile der langen Kette aus dunklen Anekdoten, die ihr Leben bestimmen. Oder besser: bestimmten. Charlo ist tot, erschossen von der Polizei. Seine kriminelle »Karriere« fand damit ein Ende, ihr Märtyrium aber dann doch schon vorher. Bereits ein Jahr zuvor hatte sie die Kraft aufgebracht, ihn vor die Tür zu setzen. Für sie selbst, mag man meinen, war es da aber schon längst zu spät.
Unter der Regie von René Rothe steht Paula Spencer in zweifacher Ausführung auf der Bühne. Annabel Bayer und Karina Schiwietz, jünger die Eine, reifer die Andere. Sie geben Paula mehr als nur eine Stimme, skizzieren ein Leben, das bereits früh von Missbrauch durch Männer geprägt war. Fast genauso bald kamen Alkoholprobleme dazu. Irgendwann erscheint es ganz gleich, zu welchem Zeitpunkt sich welches Ereignis zugetragen hat, so stark wirkt alles wie eine Aneinanderreihung von Ausweglosigkeiten. Dieses Lebensbild wirkt vor allem durch den Text, auf den sich die Regie besonders verlässt. Das Spiel auf der Bühne ist reduziert. Eine Ansammlung an Papphockern als Bühnenbild dient mal als Sitzgelegenheit, mal als schützendes Bollwerk, hinter dem sich die Leidgeplagte schutzsuchend verstecken will. Diesen Schutz aber gibt es für Frauen wie Paula nicht. Zwar wütet sie, die Papphocker fliegen quer über die Bühne, aber Aggression schafft noch lange keinen Ausweg. Sichtbar wird lediglich, dass Paula eigentlich eben gerade nicht schwach ist. Eigentlich versteht sie es, sich zu wehren. Eigentlich. Nur sind ihre Aggressoren eben jedes Mal stärker als sie.
Für das Publikum sind die Ereignisse, von denen diese Frau berichtet, nur schwer zu ertragen. Wenngleich das komplexe Bild Zusammenhänge auch offenlegt, von außen werden noch immer und immer wieder Frauen wie Paula durch die Gesellschaft mit einem lapidaren »Selbst schuld!« konfrontiert. Hätte sie mal bloß … Sie hätte ja selbst und schon viel früher und überhaupt. »Die Frau, die gegen Türen rannte« zeigt aber schmerzlich, dass es so einfach eben nicht ist. Es fällt gleichzeitig zu leicht, hier einfach von einem »Opfer« zu sprechen. Der exemplarische Charakter dieser Geschichte zeigt ein grundlegendes gesellschaftliches Problem, ein Problem, das nur dadurch entstehen kann, wenn Frauen wie Paula mit ihrer Situation allein gelassen werden.
Rico Stehfest / Fotos: Eric Jacob
nächste Vorstellung: 27. Mai, projekttheater, 20 Uhr; vorauss. wieder im Herbst zu sehen.
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