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Schuldig ist die Organisation – Das tjg räumt in seinem »Process« mit Kafka auf
28. Februar 2015 – Joseph K. wurde nicht nur verleumdet. Joseph K. wurde erwählt, ein Spielball zu sein. In dieser Inszenierung des Puppentheaters des tjg wird Joseph K. förmlich umgeräumt. Die Bühne bildet ein Berg Umzugskisten, die nicht nur ein obskures System der Beschriftung aufweisen, sondern in Einzelfällen auch ein Eigenleben führen. Kafka würde das gefallen. Die Literaturwissenschaft erkennt immer deutlicher die heitere Seite, die Albernheiten dieses Autors. Auch die Dramaturgie (Christoph Macha) hängt nicht versklavt an der Vorlage, sondern hat mit spitzer Feder gearbeitet.


Nur Joseph K. hat nichts zu lachen. Er sieht sich umgeben von halbtransparenten Wänden, die für ihn jedoch nichts als Mauern darstellen. Die Türen darin sind nicht für ihn bestimmt. Desto lauter schlagen die anderen damit. Er bleibt, wo er ist. Agieren können nur die anderen um ihn herum. Diese anderen, das sind überlebensgroße Masken, Gesichter, die an Menschen erinnern, aber keine darstellen. Diese Masken sind stumm, bedrohlich, grotesk. Und sie spielen ein Spiel. Soviel wird gleich zu Beginn verraten. 15 Runden, die Regeln sind einzuhalten. Runde 13 wurde gestrichen, die 4. verschoben. Zweifel sind unangebracht. Der Sinn dieses Spiels? Der Sinn des Spiels ist der Sinn des Spiels. Ist das kafkaesk? Es ist menschlich. Aber nur im Kern. Denn Joseph K. ist hier der einzige Mensch, das einzige Wesen mit tatsächlich menschlichen Gesichtszügen. Und klein ist er. Sehr klein im Vergleich zu den kalten Masken. Und wer so klein ist, muss untergehen. Die Frage nach der Schuld wird einfach nicht ernsthaft gestellt, weil deren Antwort irrelevant ist.


Joseph K. hat keine Chance, denn er kennt die Regeln des Lebens nicht, das für ihn gelebt wird. Somit ist er überfordert, zeigt sich als Abhängiger nicht nur seiner Gedanken, sondern auch seiner Libido. Das Sexuelle in diesem Stück stellt eine psychologisierende Komponente dar: Die Angestellten des Gerichts starren in Prozessakten, die Piktogramme unterschiedlicher Kopulationsmöglichkeiten beinhalten. Alle denken nur ans Ficken, während Joseph K. die Felle davon schwimmen. So hat der eine oder andere Kafka bislang vielleicht nicht gelesen. Dabei springt einen die Derbheit aus fast jedem seiner Texte an. Das ist ja das Reizvolle an Kafka, dass er sich eben nicht auf einen ewigen Vater-Sohn-Komplex reduzieren lässt.


Am Ende, zum Applaus, lässt sich ein Moment beobachten, der für dieses Stück Bände spricht: Joseph K., die Puppe, liegt zunächst leblos auf der Bühne, achtlos zwischen den Kisten und wird dann kurzerhand hinter die Kulissen gebracht. Einfach weg. Applaus bekommen nur die anderen. Joseph K. gilt eben nichts.




Rico Stehfest / Fotos: Dorit Günter

Nächste Vorstellungen: 28.2., 2.-4.3.2015



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