Massive Attack in der Jungen Garde
Dresden. 17. August 2016. Die TripHop-Legende aus Bristol mit einer spektakulären Bühnenshow. Streckenweise war es schon fast beängstigend, was da an Lichteffekten auf das Publikum abgeschossen wurde, doch die Visuals, die den kompletten Bühnenhintergrund einnahmen, trugen eine klare politische Message, die der Band ganz offensichtlich sehr wichtig war. Die Herangehensweise an aktuelle Ereignisse wie etwa Flüchtlingskrise, Brexit, Nationalismus, Extremismus, Terror und Edward Snowden war dabei keineswegs von hohlem Protest durchzogen, wie etwa die Neue Züricher Zeitung schrieb. Vielmehr legte die Show Schwerpunkte auf erkenntnistheoretische Grundlagen für Meinungsbildung aller Art. Die musikalisch wie technisch perfekt inszenierte Show durchleuchtete dementsprechend vielseitig Aspekte der Beurteilung aktueller politischer Ereignisse, die Wahrnehmung von Schlagwörtern oder den Umgang mit Medien generell.
Angefangen hatte das Konzert mit einem eingeblendeten Dialog zwischen Mensch und Maschine, der dem Anschein nach einem Computerprogramm entnommen wurde, mit dem man den Turing-Test durchführte. Der (so wie alle Texteinblendungen) ins Deutsche übersetzte Dialog wurde damit bereits zum Sinnbild der Mensch-Maschinen-Schnittstelle erhoben, die heutzutage mehr denn je Grundlage unserer Meinungen und Wahrnehmungen geworden ist. Eine Metapher, die das ganze Konzert über aufrechterhalten wurde und überraschende Antworten zu Tage förderte.
Auf dieses Bild folgten Einblendungen von Flaggen unterschiedlichster Nationalitäten, die, farblos dargestellt, in so schneller Reihenfolge aufblitzten, dass sie einen Stroboskopeffekt erzeugten. Anschließend wurde der Maschinen-Mensch-Dialog weitergeführt. Es ging um die Bedeutung von Emotionen, die entscheidend unsere Urteilskraft beeinflussen. Nicht umsonst wurden danach beliebige Schlagwörter eingeblendet, die zur Zeit wieder gehäuft die Medienlandschaft und politische Debatten bevölkern. Ohne inhaltlichen Zusammenhang wird dem Betrachter jedoch recht schnell bewusst, wie inhaltsleer diese Worte in Wirklichkeit sind. Sie werden in der Rhetorik meist nur benutzt, um Gemeinräume zu öffnen und Emotionen zu verursachen und täuschen so über den wahren Inhalt der Reden hinweg (bzw. um diese leeren Signifikanten zur Basis des gemeinsamen Kontexts zu machen und somit Übereinstimmung vorzutäuschen). Ebenso wurden an späterer Stelle ganze Schlagzeilen eingeblendet, die vor erschreckend kurzer Zeit durch die Medien wanderten. Das waren zunächst politische Schlagzeilen, denen anschließend Schlagzeilen aus der Boulevardpresse gegenüber gestellt wurden. Mit den richtigen Sounds und Farben unterlegt, verdeutlichten diese dem Publikum die unterschiedliche Gewichtung von Informationen, die in hohem Maße von unseren Emotionen abhängt.
Fazit: Der Auftritt von Massive Attack hat zum Nachdenken und Reflektieren angeregt, ohne den Betrachter mit erhobenem Zeigefinger warnen oder belehren zu wollen. Auch musikalisch konnten die Musiker um Robert »3D« Del Naja und Grant »Daddy G« Marshall völlig überzeugen. Die gesamte Show war technisch sogar so perfekt und präzise aufeinander abgestimmt, dass man beinahe das Gefühl hatte, Maschinen gegenüber zu stehen, die Emotionen genauso gut simulieren konnten wie ihre menschlichen Vorbilder.
Stephan Zwerenz
|
|
|