Die Geburt des Stücks aus der Selbstreflexion. Uraufführung von »Fernorchester« von Hannes Seidel und Daniel Kötter im Festspielhaus Hellerau
Wer glaubt, er bekäme in dem neuen Stück von Hannes Seidel und Daniel Kötter mit dem so schönen wie sinnreichen Titel »Fernorchester« ein Fernorchester, etwa à la Gustav Mahler, zu hören, der wird sich bald getäuscht finden. Denn zu hören ist zunächst nichts. Zu sehen auch nicht – bis auf einen kleinen Monitor in der Ecke der ansonsten leeren Bühne. Und darin auf einem Stuhl ein etwas unbeholfen wirkender Mann, der – nichts tut. Zwei Minuten wohltuende – oder wie man will – anstrengende Stille, in der der Zuschauer auf seine derzeitige Rolle und sein Zuschauen zurückgeworfen ist. Nur keine Angst vor Selbstreflexion! Und wie als Spiegelung dessen beginnt nun seinerseits der Mann im Monitor über seine Rolle nachzudenken, ein Akteur in einem noch zu realisierenden Stück zu sein. Nun kommt langsam Bewegung ins Stück, zumal sich der Bühnenraum nach und nach mit Monitoren füllt, in denen von weiteren Menschen über dieses »Sujet« sinniert wird. Die daraus entstehende Sprach- und Klangcollage gewinnt eine neue Ebene, wenn auf einmal die spontan ausgeschütteten Meditationen wörtlich von anderen Sprechern wiederholt werden, und es allmählich klar wird, dass hier alles ein sich selbst spiegelndes und vervielfältigendes Material ist, das, einmal gesetzt, sich unaufhörlich weiter auf sich selbst bezieht, wuchert und in die Live-Präsenz der Musiker im Bühnenraum hinüber wächst, die sich wiederum auf die Video-Vorgaben beziehen. Ganz nach Art des Baron von Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Wasser zieht, kann man dem Entstehen eines Stücks aus den eigenen Voraussetzungen beiwohnen. Dass der einmal abgesteckte Kreis nicht verlassen oder überschritten wird, das Stück immer nur auf sich selbst reflektiert, liegt dabei wohl in der Sache selbst begründet. Auch wenn man das Konstruktionsschema, das konsequent durchdekliniert wird, einmal erkannt hat, und Überraschungen danach kaum zu gewärtigen sind, entsteht doch in den schönsten Momenten eine unglaublich komplexe audiovisuelle Schichtung, von eigentümlichem und etwas monströsem Reiz. Wie durch einen Schleier glaubt man von fern beinahe ein Orchester zu hören. Aron Koban
|
|
|