Die Gas-Trilogie von Georg Kaiser im Schauspielhaus
In drei Teilen erzählt die Tragödie die Geschichte einer Familie über mehrere Generationen hinweg. Im Mittelpunkt und verantwortlich für den Reichtum, die Arbeit und die Konflikte: der Rohstoff Gas. Im Schauspielhaus inszeniert Sebastian Hartmann das expressionistische Werk von Kaiser, danach komplettiert nach einer kurzen Pause ein Podiumsgespräch die Geschichte ums Gas. Die Diskussion um den aktuellen Zustand der Gasversorgung gliedert sich wie ein vierter, gegenwärtiger Teil in die Aufführung ein – Applaus wird erst danach eingefordert.
Das Publikum wird an diesem Abend in den Bühnenraum des Schauspielhauses geführt – auf diesem rahmen die Plätze das Bühnenbild aus grauem, dunklen Formationen, alles zusammen ist in graue Wolken, Neonröhren und dunkles Nichts gehüllt. Die expressionistische Reise beginnt mit dem schizophrenen Kapitalisten, der durch Ausbeutung seiner Arbeiter und der industriellen Produktion zum Milliardär aufgestiegen ist. Die nächste Generation bringt einen Systemwechsel mit sich. Ein sozialistisches Paradies herrscht in der Fabrik, Arbeitszeiten und -einsatz sind frei wählbar und es gilt eine Gewinnbeteiligung, so laufen die Maschinen auf Hochtouren. Bis eine Explosion den geordneten Zustand zerstört. Während der Fabrikbetreiber neue utopische Visionen anpreist, wollen die Arbeiter den schnellen Wiederaufbau des Werkes – Gas ist ein wirtschaftlicher Garant, es bringt Profit. Neue Ideen abseits des Gewohnten bringen keine ökonomischen Sicherheiten mit sich und deshalb lebt auch die dritte Generation von der verstaatlichten Gasproduktion als Teil der Rüstungswirtschaft, indem sie Kriegsgas erzeugen.
Systeme streben physikalisch in eine immer größer werdende Unordnung, die Entropie. Die im Universum wachsende Unordnung versucht der Mensch durch Prozesse und Dinge zu kultivieren und durch Strukturen handhabbar zu gestalten. Politische und wirtschaftliche Systeme nehmen sich diesen Ordnungsprozessen an, drei misslungene Versuche anhand der Ressource Gas erleben wir im Stück mit. Diese Zerstörungsprozesse sind mit einer dunklen und dystopischen Kulisse hinterlegt, auf ihnen die hetzenden Gestalten, hinter ihr die nachdenklichen Schatten, umrahmt von Maschinen, Technik und Explosion. Die Inszenierung lebt von der stark verdichteten Handlung im Zusammenspiel mit projizierten Grafiken und collagiertem Bildmaterial sowie dem trockenen Rauch aus der Nebelmaschine, der durch die Konzentration aller auf den Bühnenraum bis in die hintersten Reihen des Publikums zieht. Wir sitzen nicht nur metaphorisch unter einer Kuppel, zum Aufführungsabend befinden sich Publikum und Darstellende tatsächlich unter dieser – gefüllt mit dem aktuell problematischsten Rohstoff. Das Stück gestaltet sich als ein Gang von der Fiktion in die Realität. Die Aufnahme dieses Diskurses und aktueller politischer Positionen, das Aufzeigen uvon Lösungsmöglichkeiten zum aufgeladenen Thema im Nachgang – diese Kombination aus Theater und Politik stellt das innovative der Vorstellung dar.
Text: Jenny Mehlhorn / Fotos: Sebastian Hoppe
Nächste Vorstellungen: 19./ 20./ 21. Oktober 2022 im Schauspielhaus
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