Bella Figura – der neue Ballettabend an der Semperoper
Eine bedauernswerte Koinzidenz. Am Vormittag der choreographischen Uraufführung mit der Musik »Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber« von Hans Werner Henze ist dieser verstorben. Wolfgang Rothe, Kaufmännischer Geschäftsführer der Semperoper, ließ es sich daher nicht nehmen, Henze vor der Aufführung deutlich betroffen mit ein paar kurzen Worten zu ehren. Trotz dieses Schattens ist der Abend ganz klar als Publikumserfolg zu bezeichnen.
Er beginnt mit einer kleinen, feinen ironischen Geste des tschechischen Choreographen Jiři Kylián, der in seiner Arbeit »Bella Figura« die »Ränder« einer Vorstellung reflektiert: Er lässt seine Tänzer bereits vor Vorstellungsbeginn auf der Bühne lockere Aufwärmübungen und entspannte Gespräche exerzieren. Ãœber allem schweben in Kästen zwei Gummipuppen. Schräg, eine kopfüber. Soviel zur bella figura.
Wenn seine Choreographie beginnt, erlischt auf der Bühne das Licht, der Vorhang schließt sich. Erster Applaus. Was dann folgt sind Kyliáns typische, diskret voneinander abgegrenzten Bilder. Er beginnt mit einem Selbstzitat aus seiner früheren Arbeit »Petit Mort«, verzichtet hier allerdings auf die überbordende sexuelle Sinnlichkeit zugunsten einer eher geerdeten, ganz und gar nicht sakralen. In messerscharfem Licht verbindet er mit deutlicher Klarheit in der Sprache einzelne Bilder, deren Bezugsrahmen im Wortsinn immer wieder neu hinterfragt wird, indem einzelne Vorhänge den Bühnenausschnitt wiederholt anders eingrenzen, beschränken, die Szenen geradezu einschmelzen lassen. Kylián spricht hier selbst von einer Art Traum. Bei aller konzentrierten Stille dieser Arbeit verhält es sich allerdings tatsächlich wie mit einem Traum: Man kann sich nicht sicher sein, was davon im Nachgang übrig bleiben wird.
Henzes Komposition begleitet die zweite Arbeit des Abends, »Zwischen(t)raum« der amerikanischen Choreographin Helen Pickett. In silbernen, irisierenden Kostüme der Tänzer verweisen bereits auf einen deutlichen Kontrast zu der Arbeit von Kylián. Lebhafte, teilweise rauschähnliche Ensembleszenen umrahmen hier den roten Faden eines nicht näher bezeichneten Konflikts, den ein Paar zu keinem Ende zu bringen in der Lage scheint. Pickett bemüht die grundsätzliche Problematik von Identität. Eindringliche Videosequenzen unterstützen visuell die Innerlichkeit des Konfliktes. Im Ganzen bleibt die Arbeit jedoch im Vagen.
Neugierig macht die dritte Arbeit des Abends. Ohad Naharin ist für die von ihm entwickelte Trainingsmethode des »Gaga« bekannt. In Kombination mit angekündigten südamerikanischen und traditionellen israelischen Musikstücken verspricht er eine energetisch geballte Arbeit. Was Naharin liefert stellt für das Repertoire des Semperoper Balletts eine durchaus neue Formensprache dar. Auch konzeptuell überrascht diese Arbeit so ziemlich. Repetitiv-mesmerisierend bewegt er das Ensemble in seiner explizit reduzierten Formensprache mit Nachdruck durch stark kontrastierende Szenen. Naharin, der Brachialromantiker. Hier geht es um Energie, die gänzlich von selbst ihre Ausdrucksform findet. Technische Raffinesse spielt keine Rolle.
Was dann plötzlich auf der Bühne zu erleben ist, wenn Marushas dröhnende Techno-Bässe zu »Somewhere over the Rainbow« aus den Boxen dröhnen, hat anlässlich der Premiere mehr als nur eine Stirn zum Runzeln gebracht. Allerdings nur für einen kurzen Moment. Bis alles in frenetische Begeisterung überging. Wer einen Ballettabend in der Semperoper genießen möchte, sollte eben tanzen können. Techno in da house! Das überrumpelte Premierenpublikum hatte dafür endlose standing ovations parat. S.R.
Nächste Vorstellungen: 31.10., 2.11./11.11.2012
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