Ganz großes Kino – »BERLIN BERLIN« in der Semperoper

25. Juli 2023 – Kinosäle weltweit sind in diesen Wochen sehr pink. Als Hommage an ihre Lieblingspuppe kleiden sich Besucherinnen und Besucher des Films »Barbie« in Rosa. Ähnliches kann man derzeit auch in der Semperoper beobachten. Statt langer Abendroben glitzern Flapper-Kleider um die Wette, zwischen behandschuhten Fingern stecken Zigarettenhalter, und so manche Frisur ziert ein Stirnband mit Feder. The Great Gatsby lässt grüßen. Und da sind wir noch nicht mal beim Geschehen auf der Bühne angelangt. Die Lust am Glamour zeigt sich beim »BERLIN BERLIN«-Gastspiel schon im Publikum.


Laut Untertitel sind wir eingeladen, »die große Show der Goldenen Zwanziger« zu erleben. Natürlich schwingt schon in diesem Beinamen für das Jahrzehnt vor der Weltwirtschaftskrise so vieles mit, dass das Berliner Nachtleben weltberühmt machte: kesse Songs, sinnliche Tänze und eine unbändige Lebenslust. Und so reiht sich im ersten Akt Schlager an Schlager, fällt Bonmot um Bonmot, treten von Brecht über die Dietrich sämtliche Berliner Showbiz-Größen ihrer Zeit auf.


Durch all das leitet uns „der Admiral“: Simon Stockinger singt und spielt den weltmännischen Conferencier so formvollendet, dass es ein Vergnügen ist! Hemdsärmeliger Gegenpol ist Sebastian Prange als blauäugiger Kutte, der das Publikum allein mit seinem Lachen zum Johlen bringt. Doch irgendwann fragt man sich schon, ob das jetzt ewig so weiterplätschern soll. Kein Licht ohne Schatten, kein Glamour ohne Gosse: Jill Clesse in der Rolle der Anita Berber haucht mit Mut zur Hässlichkeit Otto Dix‘ berühmtem Porträt einer verruchten Nachtclubtänzerin Lebenslust übers bittere Ende hinaus ein. Paige Fenlon als Josephine Baker überzeugt stimmlich wie tänzerisch, fällt aber in der Charakterzeichnung deutlich blasser aus. Lena Müller als Marlene Dietrich ist zwar blond und schön, aber für eine Marlene Dietrich – die ja eine große, aber keine wirklich gute Sängerin war – singt sie zu glatt.


Der zweite Akt nimmt mit veränderten Vorzeichen Fahrt auf. Noch immer wird die heile Welt beschworen, doch im Vergleich zur Vielschichtigkeit der Berliner Varietés wirken die Szenen im Weißen Rössl am Wolfgangsee krachledern. Zu beschreiben, was dann geschieht, hieße, massiv zu spoilern. Nur so viel, es wird geklotzt: mit Theaterdonner, mit vielen Metern roten Tuchs mit einem weißen Kreis und schwarzen Balken. Das ist nichts weniger als beklemmend. Manche im Publikum stören sich daran. »Muss das sein?« Zur Erinnerung: am 7. März 1933 besetzte ein SA-Trupp die Semperoper. Fritz Busch, von 1921–1933 Generalmusikdirektor in Dresden, wurde am selben Abend beim Dirigieren von NSDAP-Mitgliedern niedergeschrien und verließ Deutschland noch im selben Jahr.


Gegen Ende der Revue beschwören die Comedian Harmonists angesichts des drohenden Weltuntergangs mit »Ein Freund, ein guter Freund«, überzeitliche Werte. Vielleicht ist auch die Wahl dieses Songs nicht zufällig. Heinz Rühmann, der auf der sogenannten Gottbegnadetenliste der Nationalsozialisten stand, erhielt 1995 postum die »Goldene Kamera« als Größter deutscher Schauspieler des Jahrhunderts. BERLIN BERLIN zelebriert tänzerisch, gesanglich und dramaturgisch gekonnt den Tanz auf dem Vulkan der Weimarer Republik. Nur der Sound konnte am Abend der Aufführung in der Semperoper leider nicht durchgehend überzeugen.

Kathrin Muysers / Fotos: Jens Hauer (Foto 1), Christian Kleiner (Fotos 2 + 3)

»BERLIN BERLIN« ist bis 30. Juli täglich in der Semperoper zu sehen, es gibt nur noch Resttickets; mehr Infos: www.semperoper.de/spielplan/stuecke/stid/berlin-berlin/62261.html#a_30135



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