DRESDNER Interviews / O-ton!
Und Beckett lacht sich ins Fäustchen – Marion Brasch schickt Godot auf die Reise (Foto: Lars Reimann)
Marion Brasch schickt Godot auf die Reise (Foto: Lars Reimann)
■ Für Gesprächspartner wie Marion Brasch bräuchte man ein anderes Medium als Papier. Sie hat eine so angenehme Stimme, freundlich und mädchenhaft – man möchte ihr ewig zuhören. Wer Radioeins empfängt, kennt sie auch, denn dort moderiert sie regelmäßig. 2012 erschien ihr erster Roman »Ab jetzt ist Ruhe«, in dem sie sich mit ihrer Familiengeschichte auseinandersetzte: mit ihrem Vater Horst Brasch, der einst stellvertretender Kulturminister der DDR war, und mit ihren Brüdern Peter, Klaus und Thomas Brasch. Alle drei waren Künstler, alle sind früh vor ihrer Zeit gestorben. Sie erzählt gern über ihre Familie, und sie erzählt auch gern über ihr neues Buch »Die irrtümlichen Abenteuer des Herrn Godot«. DRESDNER-Autorin Annett Groh nahm dies zum Anlass für ein Interview.

Wenn man mit oder über Marion Brasch spricht, kommt man um die Familie nicht herum. Dabei fällt auf, dass Du als Autorin nicht den tragischen Ton hast, den man beinahe erwarten würde. Bist Du eine Komödiantin?

Marion Brasch: Als Komödiantin sehe ich mich eigentlich nicht. Komödianten stehen doch auf der Bühne und machen Spaß. Was ich mag, ist Komik. Selbst in tragischen Geschichten gibt es immer auch etwas Komisches. Das zu finden und davon zu erzählen – das finde ich interessant. Insofern bin ich vielleicht eher ein Transportmittel für die Komik.

Bist du »die andere Seite der Medaille«?

Marion Brasch: Ich glaube nicht. Meine drei Brüder hatten großes komisches Talent. Thomas und Peter waren Dichter und Dramatiker, aber sie haben auch sehr lustige Geschichten und Hörspiele für Kinder geschrieben. Und mein Schauspieler-Bruder Klaus war wirklich das, was man einen Komödianten nennt. Also, ich sehe mich nicht als andere Seite der Medaille. Die Komik ist vielleicht eine Facette, die mich inzwischen stärker begleitet.

Wie ist es, wenn jemandem die eigene Familiengeschichte nicht gehört? In dem Sinne, dass sie ausgedeutet wird und dass von außen Leute erzählen, wie der Vater, die Brüder, die Familie insgesamt »funktioniert« hat?

Marion Brasch: Beim ersten Buch passierte es manchmal, dass Leute kamen und mir Geschichten über meine Eltern oder meine Brüder erzählt haben. Das war für mich sehr interessant und bereichernd, weil es eine andere Perspektive ist. Es ist allerdings nie passiert, dass jemand sagte, meine Familie sei ganz anders gewesen, als ich sie erzählt habe. Eine Familiengeschichte ist und bleibt immer die eigene. Ich glaube, es wäre absurd, jemandem die eigene Familie erklären oder diese gar deuten zu wollen.

Zum neuen Buch. Es sieht aus, als besäßest Du ein ganzes Sammelsurium von eigenartigen Gestalten, die endlich auf die Menschheit losgelassen werden sollen. Die große Popeline, das Unterird, der Dunkelmunk – wo kommen die alle her?

Marion Brasch: Die kommen aus meiner komischen Fantasie. Es macht mir unglaublich großen Spaß, Figuren zu erfinden, die mit der Realität nicht so viel zu tun haben, sondern merkwürdige Fabelwesen sind. Die sind zwar in eine surreale Welt gestellt, aber haben durchaus menschliche Eigenschaften, glaube ich.

Wie die große Popeline …?

Marion Brasch: Genau! Die ist zum Beispiel so eine Art seltsame Übermutter, die ein bisschen gruselig ist und manchmal ganz schön übergriffig wird.

Es sind Sachen, die man nie erwartet?

Marion Brasch: Ich lese selbst total gern solche Sachen. Ich glaube allerdings, dass das wirklich Geschmackssache ist. Ich bin auch schon Leuten begegnet, die mit solch absurden Geschichten überhaupt nichts anfangen können und das für Quatsch und Blödsinn halten. Naja, ist es ja irgendwie auch ...

Und warum ausgerechnet Godot, die Chimäre der Weltliteratur?

Marion Brasch: Ich liebe dieses Stück von Samuel Beckett, und ich habe mich – wie viele andere auch – gefragt, wer denn dieser Godot ist? Da gibt es ja ganze Abhandlungen darüber, dass es sich um Gott handeln könnte, oder um den Tod. Bei mir ist Godot ein Typ, der unterwegs ist und (vielleicht) vergessen hat, wo er hin soll. Der irgendwie verloren ist in der Welt und deshalb nie dort ankommt, wo er eigentlich erwartet wird. Ich weiß natürlich nicht, was Beckett sich dabei gedacht hat. Aber ich habe den Verdacht, er würde sich ins Fäustchen lachen angesichts der Metaebenen, die manche Leute aufmachen. Ich glaube, Beckett war ein Scherzkeks. Er hat ja zum Beispiel Buster Keaton unglaublich geliebt – also diese Art von Humor, die hinter der Tragik verborgen liegt.

Wie ist Dein Godot entstanden? Woraus ist er entstanden?

Marion Brasch: Er ist eigentlich durchs Radio entstanden – in meiner Sendung »Songbook«. Ich habe da hauptsächlich Songs gespielt, in denen Geschichten erzählt wurden. Tom Waits, Joni Mitchell, Velvet Underground, aber auch ganz unbekanntes neues Zeug, und ich habe immer erzählt, worum es in den Songs geht. Irgendwann fand ich das nicht mehr so gut und dachte, dass die Erzählung eigentlich jemand anderes übernehmen sollte. Und da bin ich auf Godot gekommen: Ihn hab ich losgeschickt, er ist zwischen den Songs spazieren gegangen und hat erlebt, was darin beschrieben wurde. Mit der Zeit wurde er immer wichtiger, und am Ende dienten die Songs eigentlich nur noch dazu, ihm den Weg zu bereiten.
Herzlichen Dank für das Gespräch!

Marion Braschs drittes Buch »Die irrtümlichen Abenteuer des Herrn Godot« (Voland & Quist) ist ein absurder Episodenroman voller Sprachspielereien, Assoziationen und Verdrehungen. Am 27. April liest sie im Thalia Kino auf der Görlitzer Str. 6. Karten gibt’s im Vorverkauf direkt im Thalia oder online unter http://voland-quist.wlec.ag

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