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Die Zauberflöte – Erlösung naht! – Josef E. Köpplinger inszeniert Mozarts finales Zauberstück in der Semperoper (Foto: Sarah Rubensdörffer)
Josef E. Köpplinger inszeniert Mozarts finales Zauberstück in der Semperoper (Foto: Sarah Rubensdörffer)
■ »Eine Mischung aus Kasperl-Unsinn und Freimaurertiefsinn«, so spöttisch treffsicher lässt sich einer der ganz großen Burner auf den Opernbühnen bewerten. Die eher wenig stringente Handlung über die Abenteuer des jungen Prinzen Tamino gewinnt ihre generationen- und zeitübergreifende Bedeutsamkeit zum einen aus der Musik, die so schön ist, dass sie eigentlich nicht aus dieser Welt sein kann. Zum zweiten birgt die Geschichte alles, was den Menschen in seinem Sein anrührt und unterhält – ein Sujet, das auch als das definitive erste Fantasy-Spektakel bezeichnet werden könnte. Für die insgesamt zehn Vorstellungen der »Zauberflöte« bis Jahresende steht in der Semperoper nicht nur der charismatische Erste Gastdirigent der Semperoper, Omer Meir Wellber, am Pult, sondern mit Josef E. Köpplinger wird ein ungemein vielseitiger, international erfolgreicher Regisseur seine Sicht auf »Die Zauberflöte« zeigen. DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher sprach mit ihm über Zeitgeistmoralismus und den Zauber des Geheimnisses.

Bekommt man als Regisseur nicht das große Fracksausen, wenn es daran geht, »Die Zauberflöte« auf die Bühne zu bringen?

Josef E. Köpplinger: Die Zauberflöte ist wirkliches Entertainment; Jeder weiß, wie`s geht und keiner kann`s. Man legt sich als Regisseur mit dieser Oper tatsächlich unter`s Fallbeil. Ich habe vielleicht so um die acht Inszenierungen gesehen, die teilweise komplett konträr waren, und ich habe mich immer besonders gefreut, wenn die Bildsprache ganz klar war, mit all den Schattierungen, die die Menschen im Publikum verstehen. Es ist die Kunst der Akteure, dies immer wieder zu erzeugen.

Unter heutiger Betrachtungsweise enthält die Oper nicht wenige frauen- und fremdenfeindliche Elemente. Beeinflusst dies, wie Sie an das Stück herangehen?

Josef E. Köpplinger: Das Problem am Zeitgeistmoralismus ist, dass die Sauberkeit des Ausdrucks über allem steht und das Wesentliche, das im Herzen zu tragen ist, völlig weggewaschen wird. Ich fürchte mich ein wenig davor, weil wesentlichere Dinge, wie das hohe Potential von Nationalisten in Europa in ihrer Bedrohlichkeit, mir mehr Sorge machen. Die Zauberflöte ist eine Geschichte über Hell und Dunkel, über Tag und Nacht und man muss achtgeben, dass das Dunkle nicht einfach das Böse ist. Und natürlich kann man sich die Frage stellen, warum der sterbende Mann der Königin der Nacht, die Würde abspricht, den siebenfachen Sonnenkreis zu beherrschen, oder: Ist Sarastro noch ein guter Mensch, obwohl er sich Sklaven hält?

Welche Fragen werden in der Zauberflöte gestellt, die die Menschen über die Jahrhunderte hinweg immernoch bewegen?

Josef E. Köpplinger: Man nimmt Dinge wahr, auch wenn man sie nicht versteht. Wir neigen immer dazu, alles analysieren zu wollen und vergessen eine wesentliche Wirkung: nämlich die der Seele, den Wunsch, die Unschuld eines Kindes zu bewahren. Für mich geht es in der Zauberflöte um eine Coming-of-Age-Story. Pamina und Tamino wollen sich verlieben und das tun sie auch, aber am Schluss müssen sie regieren. Wie sich Tamino auf die Prüfungen einlässt, das könnte ich sehr drastisch darstellen, einfach, um das Publikum zu schockieren. Aber ich erzähle die Zauberflöte als psychologisches Märchen. Ich bin dahin zurückgegangen, wo mich als Kind die Zauberflöte besonders fasziniert hat. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie gehen in die Semperoper und sehen nichts auf der Bühne. Und damit meine ich: gar nichts. Und schon sind sie sauer und denken: Jaja, typisch zeitgenössisches Regietheater. Aber dann passiert etwas, was ausschließlich das Theater kann: Ein Junge betritt die Bühne und plötzlich, aus dem Nichts, beginnt die Musik und es setzt alles ein, was zum Theater dazu gehört, der Sternenhimmel, Projektionen... Es kommen immer wieder Dinge, die sich verwandeln, oder eben die Vergänglichkeit aufzeigen. Das ist mein Zugang: Den Reifeprozess eines Jungen aufzuzeigen, aus der Sicht von Tamino. Und am Schluss ist es die Zauberflöte, die das Kind ans Herz drückt. Jeder hat seine eigene Zauberflöte zu blasen, zu besitzen, zu entdecken. Wenn man eine Zauberflöte besitzt, hat man eine Perspektive, und man hat die Freiheit der Wahl zu entscheiden. Denn wie Pamina und Tamino regieren werden, das wissen wir nicht. Ich kann ja nicht die ganze Welt in die Zauberflöte packen, denn dann wird es ein Flickenteppich.

Es gilt also, Akzente in der Vielschichtigkeit der Zauberflöte zu setzen?

Josef E. Köpplinger: Wichtig ist eine klare Erzählstruktur. Man wird nie wirklich fertig mit einer Zauberflöte, ähnlich wie mit dem Shakespeareschen »Sommernachtstraum«. Man entdeckt immer wieder Kleinigkeiten, die einen abbiegen lassen. Und das ist auch meine Lebensauffassung: Man entscheidet bei Weichen, wohin man geht, und als Regisseur muss man zwar den ganzen Weg erst einmal durchdenken, aber dennoch offen bleiben für die Ansichten der anderen Menschen, mit denen ich auf der Bühne zu tun habe. Ich habe zum Beispiel zwei wunderbare Sarastri mit René Pape und Georg Zeppenfeld, ich habe zwei wunderbare Taminos, Sängerdarsteller, die es verstehen, das Pathos, das auch im Stück ist, ehrlich zu führen. Oder nehmen wir die Kitschmomente, die es ja auch gibt. Kitsch ist vielleicht nicht anderes, als auch die Gefühlsebenen antasten zu lassen, Ich habe keine Berührungsängste, auch nicht mit kitschigen oder unlogischen Klangbildern. Was ich mir wünsche ist, dass auch die Zuschauer sich jede Offenheit bewahren. Es ist eine dunkle Welt dort unten. Im Reich der Sonne werden sie durch die Finsternis geführt. Was effektvoll ist, denn man muss erst das Dunkle durchschreiten, um das Helle zu erkennen.

Und was ist das Helle, das Wahre?

Josef E. Köpplinger: Die Kunst hat eine entscheidende Aufgabe, in der Unterhaltung, in der Poesie zumindest die Utopie einer besseren Welt zu zeigen. Wir können also von der Philosophie der Zauberflöte lernen, wir können aber auch nur ein schönes Märchen sehen. Wenn ich das Geheimnis der Zauberflöte kennte, würde ich sie nicht inszenieren. Denn das Geheimnis ist eine Sehnsucht, die man nicht erklären kann. Mozart ist das beste Beispiel, dass das Hehre mit dem Genie nichts zu tun hat. Mozart wollte nicht erhaben, er wollte wahrhaftig sein. Eine in sich stimmige wahrhaftige Zauberflöte – das ist es, was auch ich anstrebe.
Vielen Dank für das Gespräch!

Premiere am 1. November in der Semperoper; weitere Aufführungen sind aufgrund der ab 2. November geltenden Verfügung noch unklar. Mehr zur Inszenierung und zum Regisseur: www.semperoper.de/spielplan/stuecke/stid/zauberfloete-ersatzspielplan/61859.html#video1

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