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Lost Girls

Menneskekollektivet

(Smalltown Supersound)


Seit nunmehr 15 Jahren erscheinen Alben von Jenny Hval, fröhlich wechselnd in Solo- und diversen Nebenprojekten. Nach ihrem hochkarätigen, unter Klarnamen veröffentlichten 2019er Hit-Werk »The Practice of Love« wird es nun folgerichtig wieder einmal Zeit für eine Operation unter anderem Moniker. So schlägt also die Stunde für Lost Girls, dieses Mal mit Langzeit-Spezi Håvard Folden, der sich vor gut 10 Jahren schon für das Album »Nude on Sand« als Kollaborationspartner bewährte. Der seinerzeit bewusst spröde, free-folkige Ansatz weicht nun aber schwebender, in Teilen durchaus dancefloorkompatibler Electronica. Auffällig ist dabei die überschaubare Anzahl von 5 Songs, die Hvals neues Werk im ersten Augenschein eher zur EP macht. Doch dass »Menneskekollektivet« seinen Fokus auf eher ausufernde Songstrukturen legen würde, ließ sich schon durch den seit Februar bekannten, 12-minütigen Titeltrack erahnen. Zugleich Opener, avanciert jene Vorabsingle zum Epitom und schnell auch zum Highlight des Albums: Beginnend mit einem von Synthienebel umhülltem Spoken-Word-Strudel, kippt das Ganze etwa zur Hälfte in eine wunderbare Gesangsmelodie über kunstvoll verstricktem Art Pop um letztlich als von einem wohlgenährten Bass durchpumpter Monumental-Elektro-Pop zu enden. Thematisch stehen nun im Gegensatz zu Hvals geradezu ideologiekritischen letzten Veröffentlichungen allerdings nicht mehr die Rolle von Weiblichkeit und die Dechiffrierung von Liebes- und Begehrensnormen im Mittelpunkt. Feministische Theorie wird getauscht gegen Wortklangeffekte. Entscheidend ist dabei das Prinzip der Improvisation: »Menneskekollektivet« entstand im gemeinsamen Forschen und Vorantasten, im Zusammenspiel des ästhetischen Potentials einzelner Formulierungen Hvals und der Instrumentierung Foldens und ihrer Verschränkung im spontanen Moment der Entstehung. Was also eher als Experiment mit ungewissem Ausgang startete, entpuppt sich unlängst als eines der bis dato spannendsten PopAlben des Jahres 2021.
Peter Zeipert
www.lostgirls1000.bandcamp.com/album/menneskekollektivet
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