Arbeitsmoral versus Privatleben in »Der nackte Wahnsinn« an den Landesbühnen Sachsen
Die Sardine lebt mit zahlreichen Fischen ihrer Art gemeinsam im Meer. Als Abwehr gegen Fressfeinde ziehen Sardinen als Schwärme durch die Ozeane. Um im Theaterstück »Nackte Tatsachen«, welches der entnervte Regisseur Lloyd Dallas inszenieren lässt, nicht gefressen zu werden, halten alle Schauspieler des Stücks wie ein Schwarm Sardinen zusammen.
In der 1982 von dem Briten Michael Frayn geschaffenen und gefeierten Komödie »Der nackte Wahnsinn« wird die Probe, das Geschehen hinter der Bühne und die eigentliche Premiere eines Theaterstücks gezeigt. Mit dem Vergessen der Sardinen durch Dotty, die die gealterte Haushälterin mimt, beginnt das Scheitern der Generalprobe. Von nun an funktioniert nichts mehr so, wie es der Regisseur geplant hat. Das dümmliche Blondchen, das ständig die Kontaktlinsen verliert, die aufgelöste Assistentin, die für jegliche Kritik des großen Regiemeisters herhalten muss sowie die elegante Dame, die sich als Schlichterin und Situationsmanagerin auserkoren hat oder der überarbeitete Bühnenbildner, der zur Not schon mal die ein oder andere Rolle übernehmen muss, wenn sich beispielsweise der gescheiterte Mime nicht von seiner Flasche Whisky trennen kann. Von einem professionellen Schauspielerensemble kann da keine Rede sein! Diese Theatertruppe ist der Albtraum eines jeden Regisseurs. Nicht nur, dass bei dieser Generalprobe alles schief geht, die etwas begriffsstutzigen Schauspieler möchten auch noch ihre eigene Meinung kundtun und ihre darzustellende Rolle erst einmal verinnerlichen. Nicht sonderlich hilfreich sind dabei die Gerüchte, die während der Probeunterbrechung gestreut werden. Hier und da ein kleines Eifersuchtsdrama, ab und an ein Schwächeanfall und der Wunsch gänzlich aus dem Stück auszusteigen verschärfen die Theaterprobe zusätzlich.
Damit beginnt der zweite Teil des Stücks: Die Bühne wird gedreht, die Kulisse backstage gezeigt. Nun erwartet den Zuschauer ein furioses »behind the scenes«, bei dem fast nicht gesprochen wird. Die Schauspieler führen ihr Stück auf (auf der Bühne, die nun in die andere Richtung zeigt) und müssen zugleich ihre Unstimmigkeiten hinter der Bühne ausmerzen. Die immer heftiger werdenden Streiche, die sich die Schauspielerkollegen dabei untereinander spielen, lassen die persönlichen Konflikte zu Tage treten und verdeutlichen erneut, dass es sich bei diesem Team um keine befähigte Besetzung handelt. Trotz fehlender Arbeitsmoral zeigen sich die fürsorglichen Eigenschaften der Schauspieler, denen es trotz der zahlreichen Streitigkeiten gelingt, aufeinander beschwichtigend einzugehen.
Erneuter Bühnenwechsel: Der Zuschauer befindet sich wieder vor der anfänglichen Kulisse. Die eigentliche Aufführung beginnt. Doch es kommt wieder anders als gedacht: Der Dominoeffekt tritt ein. Falscher Text, falsche Requisite, falsche Schauspieler auf der Bühne. Improvisation ist vorprogrammiert. Dadurch gerät das Stück völlig aus dem Ruder, bis endlich der erlösende Vorhang fällt.
Obwohl der Witz anfänglich noch etwas stockt und sich der Zuschauer in der Fülle der Namen zurechtfinden muss, entwickelt sich »Der nackte Wahnsinn« zu einer turbulenten Komödie, bei der man in jedem Augenblick auf den nächsten Lacher gespannt sein darf. Besonders der zweite Teil, der nahezu ausschließlich durch Slapstick Comedy funktioniert, wird zum besonderen Theatererlebnis, wobei die Schauspieler ihre pantomimischen Unterhaltungsfähigkeiten unter Beweis stellen. Besonders herausragend ist das kleine Blondchen (Sophie Lüpfert), das in Strapsen und im Unterröckchen alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ihre cartoonhafte Stimme verleiht ihrer Figur dabei den lächerlichen Effekt der unterbelichteten Blondine. Beeindruckend ist auch Michael Henkel, der sich als anfänglich blasierter, sarkastischer Regisseur im Strudel der scheiternden Schauspieler winden muss.
Eine gekonnte schauspielerische Leistung sind die perfekten Anschlüsse, die Ablösung der Schauspieler aufs Stichwort und die fulminanten Szenenwechsel, die dem Stück eine treibende Kraft und fortwährende Spannung verleihen. Wer einen tiefsinnigen Abend mit Schmunzeleffekt erwartet, ist hier falsch, denn »Der nackte Wahnsinn« ist amüsante Unterhaltung, eben eine kurzweilige, sehenswerte Posse. Carolin Herrig

Weitere Vorstellungen: 3./21.2.; 21.3./7.4./1.5.2013 in Radebeul, 22.2.2013 im Kulturhaus Freital



« zurück