■ Kein Geheimtipp: Seit Gründung im Jahr 2015 zieht die Brandenburger Festival-Perle alljährlich ein musikbegeistertes Publikum aus allen Windrichtungen nach Storkow. Für ein Wochenende im August füllen sich Zeltplatz und Pensionen, wird vor Bühnen auf dem Burghof, Marktplatz und Hinterhöfen getanzt und gefeiert. Längst gilt das Alinae Lumr als Alternative zum sonstigen Festivalgeschehen, fanden letztjährig auch Größen wie Sophie Hunger, Blumfeld oder Curtis Harding den Weg in die beschauliche Kleinstadt. Dieses Jahr ist auch hier alles anders: Das Alinae Lumr wird auf nächstes Jahr verschoben. Autor Matthias Hufnagl vom Büro Berlin hat für DRESDNER Kulturmagazin nachgefragt.
Wie steht es um das Alinae Lumr 2020?
Julia Katzberg: Wir werden dieses Jahr nicht stattfinden. Es war recht schnell klar, dass wir unter den sich entwickelnden Umständen gar nicht wollen, uns waren aber die Hände gebunden: in dem Moment wo man Verträge unterschreibt, braucht es höhere Gewalt um wieder herauszukommen – ansonsten haftet man.
Was gab den Ausschlag?
Julia Katzberg: Brandenburg hat sich doch noch positioniert und es stand die Zahl 1.000 im Raum. Bei unserem Festival kann man immer davon ausgehen, dass wir roundabout 1000 Besucher und Besucherinnen haben: mal an einem Tag, dann übers ganze Wochenende. Dazu kommt ein Team von ungefähr 20 Leuten plus die ganzen Freiwilligen. Von der Festivalstruktur ist das Alinae Lumr eher offen. Zum Beispiel ist der Marktplatz frei zugänglich, dort finden keine Ticketkontrollen statt. Vom Gesundheitsamt wird es jetzt viele Hygieneauflagen und strikte Vorgaben geben – da fehlt einem als Veranstalter in erster Linie das Geld aber auch die Vorlaufzeit.
Viele Festivals aller Größenordnungen spulen gerade vor und kündigen für 2021 das gleiche Line-Up an, wie es dieses Jahr hätte stattfinden sollen. Eine Option für euch?
Julia Katzberg: Auch wir verschieben um ein Jahr und fallen nicht aus. Künstler und Künstlerinnen, für die es möglich ist jetzt schon eine Zusage zu geben, nehmen wir auf jeden Fall mit. Momentan sind das Andi Haberl, Das Paradies,Emilíana Torrini & The Colorist Orchestra und sir Was. Bis zu dem Punkt, an dem Corona kam, hatten wir einen sehr guten Vorverkauf. Jetzt hoffen wir, dass die Leute ihre Tickets mit ins nächste Jahr nehmen. Man kann sie aber auch zurückgeben, oder spenden. Wir machen das ja alle ehrenamtlich und generieren als gemeinnütziger Verein keinen Gewinn. Für die laufenden Kosten werden wir daher wohl auch eine Crowdfunding-Kampagne starten.
Wie zufrieden bist du mit den Brandenburger Behörden?
Julia Katzberg: Relativ unzufrieden. Nachdem der Bund die Regeln zur Ländersache gemacht hatte, gab es eine Pressekonferenz. Als Verein saßen wir, jeder für sich im Home-Office vor dem Computer und haben gespannt verfolgt, was da gesagt wird. Kultur wurde, mehr oder weniger mit keinem Wort erwähnt. Das spiegelt gut das momentane Gefühl in der Kulturszene wider: wir werden hängen gelassen. Natürlich geht es um die Gesundheit. Da kann man sich auch mal hinten anstellen – aber wir brauchen Ansagen. Wenn die nicht von oben kommen, schränkt es den Handlungsspielraum klar ein.
Wie ist die momentane Stimmung im Hinblick auf Künstler, Agenturen, etc.?
Julia Katzberg: Es herrscht eine große Kulanz, egal mit wem du sprichst. Ob Konzertveranstalter, Agenturen, die Securityfirma oder der Foodtruck. Alle sind sehr supportive. Man unterstützt sich gegenseitig.
Sind am eigentlichen Festivalwochenende Alternativen im kleinen Rahmen geplant?
Julia Katzberg: Nein, aber das Höme Festivalmagazin plant im gleichen Zeitraum digitale Veranstaltungen, was ich ziemlich gut finde. Das ganze Programm steht auf www.festivalfuerfestivals.de
Wie entstand eigentlich das Alinae Lumr?
Julia Katzberg: Jenny Jürgens arbeitet auf der Burg Storkow, vermietet die Räume und organisiert Veranstaltungen. Sie hat damals gefragt, ob die jetzige Alinae Lumr–Crew nicht wieder ein Festival organisieren will. Wieder, da man vor Jahren mit dem »mamallapuram«, dem späteren »Jenseits von Millionen« schon mal eins vor Ort organisiert hatte.
War es von Beginn an Konzept, nicht nur den Burghof, sondern den ganzen Ort zu bespielen?
Julia Katzberg: Ich bin zwar nicht von Anfang an dabei, weiß aber, dass es tatsächlich so war. Da ist die Struktur einer Stadt wie Storkow – relativ klein, übersichtlich und somit ideal für ein Festival. Man bringt Leben rein und pflegt gleichzeitig eine regionale Willkommenskultur. Es gibt viele verschiedene Orte und jede Bühne hat ihren eigenen Reiz. »Irrlandia« zum Beispiel ist dieses grüne Ungetüm an Pflanzen. Jedes Jahr überlegen wir zudem neu, wie man auch andere Orte wiederbeleben kann.
Als wir letztes Jahr vor Ort waren, hingen viele blaue Plakate mit verstörenden Sprüchen. Das Festivaltreiben erscheint da wie ein Gegenentwurf. Gab es Spannungsfelder?
Julia Katzberg: Wir stoßen überwiegend auf offene Arme, bekommen viel Unterstützung von der Stadt und der Oberbürgermeisterin. Vor Ort gibt es zudem viele Leute, die zwar nicht im Kernteam sind, aber das Festival als wichtige kulturelle Veranstaltung sehen. Auch auf der Burg Storkow haben wir einen großen Kreis an Unterstützern und Unterstützerinnen, die von Anfang an mitgestalten und der Sache durchweg positiv gegenüberstehen. Aber klar: letztes Jahr, im Rahmen des Wahlkampfs war es etwas schwierig. Es gibt politische Gegenpole, das muss man thematisieren und damit arbeiten. Einen perfekten Umgang damit zu finden, ist nicht ganz einfach. Unsere Maxime dabei: Kein Rassismus, kein Sexismus, keine Homophobie. Wir sind uns aber auch bewusst, dass man die politische Realität mit einem Festival nicht komplett ändern kann. Die linke Szene vor Ort und Menschen, die den Inhalt der blauen Plakate nicht teilen, machen aber auch sonst ganz viel Stimmung.
Nicht nur das Festival Line-Up, sondern auch das Drumherum ist schon etwas Besonderes. Da gibt es neben der Musik auch Waldspaziergänge, Lesungen, Panels und Stadtführungen. Zudem spielen Bands, die einem auf den ersten Blick als zu groß erscheinen. Wie schwer ist es, Acts gewisser Größenordnungen nach Storkow zu lotsen?
Julia Katzberg: Wir punkten mit dem Kleinen, Wunderbaren, Überschaulichen und Familiären. Das ist es, was viele Bands nach Storkow lockt. Natürlich funktioniert es auch über die Nähe zu Berlin.
Was macht das Alinae Lumr sonst noch aus?
Julia Katzberg: In erste Linie sind wir ein Musikfestival. Da das Alinae Lumr aber in einer Stadt angesiedelt ist, möchten wir lokale Initiativen, Gewerbe und Menschen die dort wohnen mit einbinden. So entstehen Programmpunkte, wie eben der Waldspaziergang. Aber auch die hiesige Eisdiele ist mit dabei. Außerdem ist es uns wichtig, dass 50 Prozent weibliche Acts am Start sind. Auch Autoren und Autorinnen, die sich zu sensiblen politischen Themen äußern, sind uns wichtig. Dieses Jahr hätte zum Beispiel Alice Hasters aus ihrem Buch »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten« gelesen.
Was bedeutet der Festivalname?
Julia Katzberg: Es ist Fantasie. Je nachdem, mit wem man redet, hat der Name immer wieder eine andere Bedeutung. Das geht schon bei der Aussprache los. Es ist etwas Geheimnisvolles, das wir hier transportieren wollen.
Würdest du dieses Jahr privat auf Festivals gehen?
Julia Katzberg: Ich habe zwar Tickets für diesen Sommer – werde aber nicht hingehen, auch für den Fall, dass die Veranstaltungen stattfinden. Meine Tickets behalte ich als Support. Für mich hat das auch einen Gesundheitsaspekt. Da braucht man gar nicht groß zu diskutieren. Trotzdem: mir fehlen die Veranstaltungen – Kultur genießen.
Das Alinae Lumr Festival hätte vom 21. bis 23. August 2020 in Storkow (Mark) stattgefunden und wird auf den 13. bis 15. August 2021 verschoben; www.alinaelumr.de/de