■ In Cannes wusste Fatih Akins emotionaler Rache-Thriller und vor allem seine Hauptdarstellerin Diane Kruger zu überzeugen. Auch um eine Oscar-Nominierung steht es nicht schlecht für »Aus dem Nichts«, bei dem die Deutsche Katja den Tod ihrer Familie durch einen rechtsradikalen Terroranschlag betrauert und die Täter schließlich selbst zur Rechenschaft ziehen will. DRESDNER-Autor Martin Schwickert sprach mit dem Filmemacher Akin über die realen Hintergründe und seine ungewöhnlichen Dramaturgieentscheidungen.
Herr Akin, wie haben die NSU-Morde und nun der Einzug der AfD in den Bundestag Ihr Lebensgefühl als Deutschtürke in diesem Land verändert?
Fatih Akin: Ich mache mir natürlich mehr Sorgen. Ich hätte nicht gedacht, dass es 28 Jahre nach der Wende in Sachen Ausländerfeindlichkeit zwischen West und Ost immer noch ein solches Gefälle gibt. Aber auf der anderen Seite habe ich in meinem persönlichen Umfeld das Gefühl, dass das gute Verhältnis zwischen Deutschen und Türken nicht so schnell ins Wanken gebracht werden kann.
Wie war Ihre Reaktion, als Sie zum ersten Mal von den NSU-Morden aus den Nachrichten erfahren haben?
Fatih Akin: Die gingen ja als sogenannte »Döner-Morde« durch die Presse, aber es gab immer nur vage Mutmaßungen. Alle Betroffenen sollten etwas mit Drogen zu tun gehabt haben, aber man fand keine wirklichen Motive. Die Form von Mafia, wie sie da im »Spiegel« beschrieben wurde, klang für mich damals schon ziemlich seltsam. Und dann waren das am Ende gar nicht die Türken selbst, wie es Ermittler und Medien immer behauptet haben, sondern Nazis. Da war ich richtig sauer!
Warum haben Sie sich dazu entschieden, von den NSU-Morden in einem fiktionalisierten Rahmen zu erzählen?
Fatih Akin: Ich wollte mich in diesem Film gezielt auf eine Opferangehörige konzentrieren. »Aus dem Nichts« versteht sich auch nicht unbedingt als politischer Film. Vielmehr ging es mir um die Stufen des Schmerzes, die eine Opferangehörige durchlebt, wie sich dieser Schmerz zunächst in Ohnmacht, dann in Wut und schließlich wieder in Gewalt verwandelt. Bei dem Anschlag kürzlich in Las Vegas gab es 52 Opfer und alle wollen nur wissen: Wer ist der Täter? Von den Opfern und Hinterbliebenen erfährt man hingegen kaum etwas. Deshalb wollte ich ihnen meinen Film widmen.
Sehen Sie das Kino in der Verantwortung, ein solches Manko in der öffentlichen Wahrnehmung auszugleichen?
Fatih Akin: Der Spielfilm ist eine ganz andere Sportart als Nachrichtensendungen oder Dokumentarfilme. Dennoch bedienen sich die fiktiven Geschichten ja immer aus der Realität. Als Filmemacher suche ich Themen und Momente, die man so noch nicht auf der Leinwand gesehen hat. Und wer ist kreativer als die Realität?
Warum ist die Hauptfigur keine Frau nicht-deutscher Herkunft, wie es ja in der Realität meistens der Fall war?
Fatih Akin: Mit dem Bild, dass die Betroffene eine blonde, blauäugige Arierin ist, wollte ich die völkische Metapher umdrehen. Außerdem gefiel mir die Idee, dass Katja genau wie die Neonazis aus Schleswig Holstein kommt und fast der gleichen Generation angehört. Zwei Biografien mit ähnlichen Voraussetzungen, die allerdings ganz unterschiedliche Richtungen genommen haben.
War der Freispruch der Neonazis eine rein dramaturgische Entscheidung oder im Hinblick auf den NSU-Prozess auch eine reale Befürchtung?
Fatih Akin: Das war in erster Linie eine dramaturgische Entscheidung. Aber als wir den Rechtsberatern die juristische Lage, wie sie im Drehbuch steht, geschildert haben, stand es für die außer Zweifel, dass der Prozess unter diesen Umständen zu einem Freispruch führen muss. »Im Zweifel für den Angeklagten« ist ein Rechtsgrundsatz, der oft zur Anwendung kommt.
»Aus dem Nichts« (ab 23. November im Pk Ost, Ufa-Palast, Kino in der Fabrik, Schauburg und Cinemaxx), BRD 2017, Regie: Fatih Akin, mit: Diane Kruger, Denis Moschitto, Numan Acar u.a. Zum Trailer: http://youtu.be/kk5e-lvomDk