DRESDNER Interviews / O-ton!
Von naiven Nymphen und der Rhetorik des Subversiven – Jean-Philippe Rameaus Barockoper »Platée« erstmals in Dresden – Paul Agnew (Foto: Oscar Ortega) im Gespräch
Jean-Philippe Rameaus Barockoper »Platée« erstmals in Dresden – Paul Agnew (Foto: Oscar Ortega) im Gespräch
■ Es lebte einmal eine Nymphe im Sumpf. Sie war einfältig und hässlich, glaubte sich aber wunderschön und an die große Liebe. Die kam in der Figur des göttlichen Jupiter zu ihr, der ihr die Hochzeit versprach. Doch dies war ein Betrug, sollte nur dazu dienen, die Gemahlin Jupiters von der Eifersucht zu heilen. Platée, die naive Nymphe, wird von der höfischen Gesellschaft mit Hohn und Spott überschüttet. Die Demütigung eines Menschen als »komische Oper« zu charakterisieren, hört sich zunächst absurd an. Doch hinter dem lustigen Spektakel steckt sehr viel an Menschenkenntnis, Zugewandtheit und Gesellschaftskritik, wie Paul Agnew, der musikalische Leiter der Aufführung in Dresden, erläutert. Der schottische Tenor und Dirigent gilt als einer der wichtigsten Kenner französischer Barockmusik. Er stand vielfach selbst in der Titelrolle der »Platée« bei umjubelten Inszenierungen auf der Bühne. Die Uraufführung von »Platée« fand 1745 anlässlich der Hochzeitfeierlichkeiten von Louis Ferdinand, Sohn von König Ludwig XV. und der spanischen Infantin Maria Theresia in Versailles statt. Dem breiten Publikum wurde »Platée« 1749 in einer überarbeiteten Form an der Pariser Oper zugänglich gemacht und erfreute sich in seiner neuen Fassung großer Beliebtheit. Wohl auch wegen des subversiven Untertons, wie Paul Agnew im Gespräch mit DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher erörtert.

Können Sie sich erklären, weshalb die Oper hierzulande so selten zu sehen ist?

Paul Agnew: Das liegt im besonderen Charakter dieser Musik. Die französische Barockmusik ist ein wenig schwierig, weil sie sich nicht einfach vom Notenblatt spielen lässt. Wir müssen das Stück sehr gut kennen, bevor wir wissen, wie es gespielt werden soll, wie die Musik wirklich klingt. Dies ist eine enorme Arbeit. Ein weiterer Grund ist, dass viele Solisten benötigt werden, ein großer Chor und nicht zuletzt auch eine Ballett-Compagnie. Und man braucht ein sehr sehr gutes Orchester. Diese Kombination ist nicht sehr häufig zu finden.

Es gibt in dem Stück die Stimmlage des »Haute-Contre«. Was hat es damit auf sich?

Paul Agnew: Diese Stimme ist typisch für französische Barockopern. Haute-Contre wird oft mit dem Countertenor verwechselt. Aber damit hat es nichts zu tun, denn ein Countertenor singt im Falsett, und der Haute-Contre erzeugt seine Töne mit der Bruststimme. In der französischen Musik haben wir andere Bezeichnungen als wir sie aus der italienischen Musiktradition kennen, und Haute-Contre heißt nichts anderes als »hoher Tenor«. Es ist eine andere Art des Gesangs, eine leichte lyrische Stimme. Es ist nicht einfach, gute Haute-Contre-Stimmen zu finden. Die hohen Noten müssen sehr leichtfüßig vorgetragen werden und das ist sehr schwer.

Sie gelten weltweit als einer der bekanntesten Spezialisten für Barockopern. Woher kommt diese Begeisterung?

Paul Agnew: Schon als Kind begeisterte ich mich dafür. Ich liebe diesen Sound und ich liebe es, diese Musik in ihrer Klarheit erstrahlen zu lassen und die Instrumente und Techniken zu nutzen, um die Musik frisch und modern klingen zu lassen. Sie spielt auch meine sentimentale Ader an: Barockmusik ist dem Menschlichen auf eine direkte Art und Weise sehr zugewandt, mich berührt die Tiefe der Charakterisierung.

Der Charakter der Platée ist aber nicht sehr freundlich gezeichnet ...?

Paul Agnew: Der Charakter der Platée ist tatsächlich nicht sehr freundlich, aber sehr menschlich gezeichnet. Sie macht viele Fehler, die gleichen Fehler, die wir auch begehen. Das ist die Stärke des Stücks und auch der Bezug zu unserer Gesellschaft. Wir sehen stets Leute, die sich von uns unterscheiden, und auch Platée ist anders. Sie ist eine Kreatur aus den Sümpfen, sie ist hässlich und nicht sehr klug. Aber sie ist die Königin in ihrem kleinen Reich. Sie ist sehr stolz und glaubt, Königin des Ganzen werden zu können. Und es ist dieser Stolz, diese Vermessenheit, die sie letztendlich scheitern lässt. Aber die Ironie dabei ist, dass in dem Moment alle, also auch das Publikum, die über Platée lachen, erkennen, dass sie sich mit diesem Spott schuldig machen – das ist ein Schlüsselmoment. Es ist auch das moralische Lehrstück, das diese Oper so faszinierend macht.

Sie sind einer der bekanntesten Darsteller der Platée. Wie fasst man als Mann solch eine Frauenrolle an?

Paul Agnew: In dieser Zeit war es nicht sehr schockierend, Männer in Frauenrollen zu sehen. Auch in den Shakespeare-Stücken wurden alle Rollen von Männern gespielt. Aber in Frankreich nutzte man diese Gegebenheit, um eine Kreatur darzustellen, die sehr anders ist. Sie ist ein »Frauenmann«, und wir wissen sie nicht recht einzuordnen. Sie zu interpretieren ist ein hartes Stück Arbeit, und ich fürchtete mich beim ersten Mal davor, bis ich das Kostüm anhatte. Das Kostüm gibt dir ein Gefühl, wie es ist, sie zu sein und wie es gelingt, die eigene Gestik so anzupassen, dass nicht ein Mann eine Frau spielt, sondern die Frau ist. Das ist die Herausforderung, denn es ist keine Travestie, sondern wir benötigen den Charakter einer echten Person.

Wie mit Platée verfahren wird, hört sich ja eher tragisch an. Warum ist es eine Komödie?

Paul Agnew: Ja, ich bin auch absolut der Meinung, dass es eine Tragödie ist. Aber der Text ist sehr spaßig, die Musik ist lustig und die Situationen sind wirklich komisch. Zu ihrer Zeit war es eine der allerersten komischen Opern, denn die französische Oper stand in der Tradition der tragischen Lyrik nach griechischem Vorbild, die immer schlimm enden. Und auch hier wissen wir, dass Platée nie Jupiter heiraten wird. Es wird Opéra buffon genannt, weil es einfach richtig komisch ist.

Es ist eine Oper, die in jeder Hinsicht changiert: Gott Jupiter entpuppt sich als Spötter, die Tragödie wird eine Komödie, Platée ist ein Mann in einer Frauenrolle ...?

Paul Agnew: Heutzutage sehen wir dieses Stück eher unterhaltsam. Aber damals wie heute beinhaltet es viele Fragen über uns und unsere Gesellschaft, die dort verhandelt, aber nicht direkt ausgesprochen werden. Eine Komödie über einen Herrscher zu machen, war eine heikle Angelegenheit. Jupiter steht auf der Bühne und repräsentiert Louis XIV. Der König konnte sich also selbst auf der Bühne sehen – und Jupiter ist hier kein sehr ehrenwerter Gott. Das Stück kam bei seiner Uraufführung bei Hofe nicht sehr gut an. Das breite Publikum wiederum liebte es aus genau demselben Grund: Die Höflinge und der Hof werden verspottet und es erkennt: Der König ist auch nur ein Mensch, und wir können ihn behandeln wie jeden Menschen – und das bereits 40 Jahre vor der französischen Revolution. Es ist eine hochspannende Zeit in der Musikgeschichte, die Art und Weise, wie Musik mit der Gesellschaft interagiert.
Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch wurde aus dem Englischen übertragen. Premiere »Platée« in der Inszenierung von Rolando Villazón ist am 6. April in der Semperoper, weitere Aufführungen: 11., 16., 23., 29. April 2019. Mehr zur Operninszenierungr: www.semperoper.de/spielplan/stuecke/stid/Platee/61287.html

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