■ Mit schwerer Technik des THW wird auf einem Grundstück des Freistaates Sachsen im Gewerbegebiet der Bremer Straße der Schotterboden für eine Zeltstadt in Dresden bereitet, die ab dem 24. Juli bis zu 1.100 Flüchtlinge aufnehmen soll. Den Auftrag dazu erteilte die Landesdirektion, die direkt dem sächsischen Innenministerium untersteht, dem DRK. Der provisorischen Verwaltung der nach vier Tagen noch immer chaotisch wirkenden Zustände im Lager durch »Dresden für Alle« wird ein Ende gesetzt, deren Sprecher Eric Hattke des Geländes verwiesen. Ministerpräsident Tillich und Innenminister Ulbig spazieren über das Gelände und befinden einhellig, es sei zwar noch nicht alles in Ordnung, aber auf einem guten Weg... Das Gelände wird nach Ausschreitungen von Rechtsradikalen und Angriffen auf Helfer am 24. Juli und einer gewalttätigen Auseinandersetzung unter Flüchtlingen durch die Polizei abgeriegelt. Journalisten bekommen keinen Zugang, Nachrichten dringen nur spärlich hinaus. Dann brechen Prof. Dr. Gerhard Ehninger und der junge Arzt Kai Loewenbrück, stellvertretend für die ehrenamtlichen Ärzte vor Ort, die Informationssperre und geben am 7. August gemeinsam mit Vertretern des Ausländerrats, des sächsischen Flüchtlingsrates, der Ausländerbeauftragten der Stadt und »Dresden für Alle« eine Pressekonferenz in Dresden, auf der sie vom Versagen der Landesdirektion sprechen und schwere Vorwürfe über menschenunwürdige Zustände erheben. DRESDNER-Redakteur Heinz K. und DRESDNER-Autorin Ulrike Schirm haben am 10. August bei Dr. Holm Felber, dem Pressesprecher der Landesdirektion Sachsen, nachgefragt.
Die Situation mit steigenden Flüchtlingszahlen ist dem Bund und dem Freistaat Sachsen schon seit längerem bekannt. Woran lag es, dass der Freistaat keine Vorkehrungen getroffen hat, um für alle Flüchtlinge menschenwürdige Unterküpfte zu schaffen, sodass in Dresden ein Zeltlager auf einer Industriebrache in Betrieb genommen werden musste?
Holm Felber: Ihre Frage geht offenbar von falschen Annahmen aus. Tatsache ist: Die Landesdirektion Sachsen muss sich bei ihren Planungen auf die etwa vierteljährlich vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur Verfügung gestellten Prognosen für das jeweils laufende Jahr beziehen. Nach der bislang jüngsten dieser Prognosen vom Mai 2015 hatte Sachsen im laufenden Jahr 20.400 Erstantragsteller zu erwarten, mithin monatlich durchschnittlich 1.700. Die tatsächliche Zahl lag allerdings schon im Monat nach der Prognose mit knapp 2.300 Asylbewerbern darüber und steigerte sich im Juli mit nicht vorhersehbarer Dynamik auf fast 4.100. Dabei wurden durch das BAMF zwischenzeitlich innerhalb eines Tages plötzlich 1.100 Asylbewerber mehr als noch am Vortag angekündigt. Damit waren alle vorhandenen Unterbringungsreserven weit überlastet und Obdachlosigkeit unter den Asylsuchenden ließ sich zu diesem Zeitpunkt nicht anders als durch die Errichtung eines Zeltlagers verhindern.
Im Übrigen ist das Dresdner Zeltlager sicher keine optimale, aber ebenso wenig eine menschenunwürdige Unterbringung, sondern liegt in Ausstattung und Versorgung auf dem international üblichen Standard für Notunterkünfte.
OB Dirk Hilbert sprach kürzlich vor dem Dresdner Stadtrat von »kooperativ erarbeiteten Interimslösungen« für den bevorstehenden Zustrom von Flüchtlingen. Welche Interimslösungen wurden mit der Stadt Dresden im letzten halben Jahr erarbeitet?
Holm Felber: Zu dieser Frage kann Ihnen wohl am Besten die Landeshauptstadt Dresden Auskunft geben. Der Freistaat plant in Dresden eine Erstaufnahmeeinrichtung in festen Gebäuden mit 700 Plätzen an der Stauffenbergallee/Ecke Hammerweg sowie eine Interimsunterbringung in Containern mit 500 Plätzen auf dem Gelände unmittelbar hinter dem Gebäude der Landesdirektion. Beide Vorhaben werden auf Arealen umgesetzt, die sich im Eigentum des Freistaates befinden. Die Landeshauptstadt ist über diese Vorhaben umgehend in Kenntnis gesetzt worden.
Sachsen hat nach dem Königsteiner Schlüssel einen Anteil von 5 Prozent. Andere Bundesländer haben einen höheren Anteil und damit mehr Flüchtlinge und Asylbewerber unterzubringen. Wie läuft das Verfahren zwischen Bund und Ländern organisatorisch ab? Und wie arbeitet der Freistaat mit der Landeshauptstadt zusammen?
Holm Felber: Dem Königsteiner Schlüssel, nach dem die in Deutschland ankommenden Asylbewerber auf die Bundesländer verteilt werden, liegen Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft der einzelnen Bundesländer zu Grunde – mithin also die darin ausgedrückte Fähigkeit, bestimmte Lasten zu übernehmen. Soweit bekannt, ist dieser Maßstab nicht umstritten.
Für das jeweilige Bundesland nach diesem Schlüssel vorgesehene Asylbewerber werden durch das BAMF der zuständigen Landesbehörde angezeigt; allerdings ohne den genauen Zeitpunkt der Ankunft, der auch von der sehr unterschiedlichen Reisezeit der Ankommenden abhängt. Die Bundesländer bringen die Asylbewerber dann in einer vom Gesetzgeber für die Erstaufnahme verpflichtend vorgesehenen Gemeinschaftsunterkunft unter. Dort erfolgen die medizinische Erstuntersuchung, die Erfassung durch die Landesbehörden und die erkennungsdienstliche Behandlung. Darüber wird beim BAMF der Asylantrag gestellt und es findet die Anhörung der Asylbewerber zu ihren Asylgründen statt. Danach erfolgt in der Regel die Verteilung der Asylbewerber zu Landkreisen und kreisfreien Städten, wo die Asylbewerber bis zur Entscheidung über ihren Antrag bleiben. Ideal wäre eine Entscheidung über den Asylantrag noch in der Erstaufnahmeeinrichtung – allerdings liegen die durchschnittlichen Bearbeitungszeiten des BAMF momentan immer noch deutlich über den drei Monaten, die Asylbewerber maximal in der Erstaufnahmeeinrichtung verbleiben dürfen.Die Landeshauptstadt ist an den Lageberatungen der Landesdirektion zur Erstunterbringung von Asylbewerbern personell vertreten, wird dort über den Stand der Dinge informiert und kann eigene Anliegen, Probleme und Projekte einbringen. Darüber hinaus wird sie künftig am Betrieb der Erstaufnahmeeinrichtungen auf ihrem Gebiet mitwirken: Die medizinische Erstuntersuchungen für Asylbewerber, die in Dresden erstuntergebracht sind, wird künftig durch das Gesundheitsamt Dresden in der Stadt selbst erfolgen. Der Freistaat hat die Grundlage dafür mit der Änderung einer Rechtsverordnung gelegt, die bis dahin die Erstuntersuchung nur in Chemnitz zuließ.
Der Mediziner Prof. Dr. Gerhard Ehninger ist nach seiner freiwilligen Hilfe in der Zeltstadt in der vergangenen Woche an die Presse getreten und berichtete von einem »Lager in einem kriegsähnlichen Zustand« mit unzureichender hygienischer, medizinischer, ernährungspraktischer Versorgung. Diese Wahrnehmung teilen auch andere freiwillige Helfer. Wie konnte es zu dieser Situation kommen und was hat die verantwortliche Landesdirektion des Innenministeriums und das mit der Organisation vor Ort betraute DRK unternommen, um die Situation schnell zu verbessern?
Holm Felber: Den Schilderungen Prof. Ehningers haben mit der Wirklichkeit des Camps kaum etwas zu tun.
Richtig ist, dass es beim Betrieb des Zeltlagers Anlaufschwierigkeiten gab. So konnten beispielsweise innerhalb des einen Tages, der von der Entscheidung für das Camp bis zur Betriebsaufnahme zu Verfügung stand, Sanitätscontainer nicht beschafft werden. Deshalb musste zunächst auf Trockentoiletten zurückgegriffen werden, die keine optimale Lösung darstellen. Ebenso zeigte sich, dass beauftragte Caterer den Essenbedarf quantitativ und qualitativ falsch eingeschätzt hatten.
Landesdirektion und DRK haben schnell nachgesteuert: Die Essenportionen wurden vergrößert, es wurde auf (schneller verteilbare) Assietten umgestellt und eine zweite Ausgabestrecke eingerichtet. Auch die erforderlichen Sanitärcontainer konnten nach wenigen Tagen des Campbetriebes beschafft werden. Das Zeltlager verfügt mittlerweile über 34 Sitztoiletten, 28 Duschen und 44 Waschplätze – jeweils getrennt nach Männern und Frauen – sowie 12 Urinale und ist mit dieser Sanitärausstattung angeschlossen an die öffentliche Wasserver- und Abwasserentsorgung. Zudem arbeitet im Sanitätsstützpunkt des Zeltlagers schon seit vergangener Woche eine beim DRK fest eingestellte Ärztin tagsüber durchgehend.
Die Einrichtung hat damit im Sanitärbereich einen Standard, der über dem für Notunterkünfte üblichen liegt. Das war auch schon zum Zeitpunkt der Wortmeldung von Prof. Ehninger am Donnerstag vergangener Woche der Fall.
Wie ist der Organisationsstab vor Ort in der Zeltstadt derzeit personell aufgestellt und wie sollte er idealerweise besetzt sein, damit die Koordination und der Einsatz der freiwilligen Helfer reibungslos funktioniert?
Holm Felber: Das DRK, das die Betreuung der Asylbewerber im Camp übernommen hat, betreibt ein eigenes Führungs- und Lagezentrum (FüLZ). Im Zeltlager arbeiten mittlerweile 60 hauptamtliche Betreuer, die auch den Einsatz freiwilliger Helfer die mit Hilfe des FüLZ je nach zugewiesenem Arbeitsbereich koordinieren.
Am Zeltlager an der Bremer Straße sorgte die Umverlegung von ca. 200 Flüchtlingen für eine gewisse Entspannung der Situation. Eine Unterbringung in Containern wurde bereits für die kalte Jahreszeit angekündigt. Ist das überhaupt bis Oktober zu schaffen? Wenn nicht: Wie lange soll das Zeltlager noch existieren?
Holm Felber: Die Zelte sind bis zu einer Temperatur von 0 Grad nutzbar, die Planungen für einen Ersatz der Zelte durch Container laufen. Zeitlich und technisch ist die Einrichtung des Containercamps zu schaffen. Ein Winterbetrieb der Zelte ist nicht beabsichtigt.