■ Udo ohne Zigarre? Nie. Rauchend wurde der Erfinder der Paniksprache zu einer nationalen Ikone. Die Zigarre blieb sein Leuchtfeuer und Markenzeichen, als Rauchen in Deutschland schon längst geächtet war. Für ihn ist sie sowas wie Salat. Auch mit 70 ist der schnoddrige »Panikpräsident« noch politisch unkorrekt, authentisch, schräg, kreativ und originell. Jüngst wurde er mit einem Bambi geehrt, die Laudatio hielt niemand geringeres als Sting – auf Deutsch. Olaf Neumann traf für DRESDNER Kulturmagazin Udo Lindenberg in Hamburg an der Bar des Atlantic Hotels und sprach mit ihm über sein neues Album »Stärker als die Zeit – Live« und die panischen Zeiten, in denen wir gerade leben.
Ihr diesjähriges Stadiondoppelkonzert in Leipzig kommt unter dem Titel »Stärker als die Zeit - Live« in den Handel. Was macht diesen Auftritt für Sie so besonders?
Udo Lindenberg: Im Leipziger Stadion hatten wir viermal 50.000 Leute, insgesamt 200.000. Es gibt zwar auch andere Panik-Hauptstädte, aber Leipzig ist eine besondere Panik-Hauptstadt. Die jahrzehntelange Connection und Vertrautheit miteinander ist sehr tief. Auch wegen der Brücken, die wir schon immer gebaut haben: »Rock'n'Roll Arena in Jena«, »Mädchen aus Ostberlin«, der ganze Kampf gegen die Mauer, die Montagsdemos und so. Also der Aufstand für den anderen Lifestyle. In Leipzig gibt es viele ähnliche Biografien. Die Leute dort haben ein unheimliches Temperament und gehen ab wie die Zäpfchen. Aber sie sind in ihrer Liebe und Treue total tief. Diese Verbundenheit und Energie trägt durch solch eine dreieinhalbstündige Show. Wir haben uns auch bewusst ein Konzert am Ende der Tour ausgesucht, wo dann auch alles steht. Bei so einer Show gibt es ja ständig etwas zu verbessern, zum Beispiel an der Flugtechnik, bis alles gut läuft.
Warum macht man Live-Alben?
Udo Lindenberg: Also, diese DVD ist eine Live-Trilogie über drei Jahre, es sind auch Teile aus anderen Shows dabei. Mit Gästen wie Eric Burdon, Clueso, Helge Schneider, Stefanie Heinzmann, Deichkind, Westernhagen, Stefan Raab, Bryan Adams, Otto, Klaus Doldinger, Max Herre. Das ist immer so eine Art Familientreffen, das Publikum feiert Kindergeburtstag. Leicht besoffene Kinder, die richtig abheben und ihre Lebensfreude feiern trotz der Schräglage der Welt. Dazu haben wir auch wieder Songs wie »Wozu sind Kriege da« oder »Kosmosliebe«, wir singen ja über das gesamte Leben und dazu gehören auch stille Dinger, wo es dann um alles geht. Natürlich mit entsprechenden Statements gegen rechtsradikal, linksradikal und so weiter.
Ist die Bühne für Sie das wirkliche Leben?
Udo Lindenberg: On stage bin ich am meisten lebendig. Das ist mein Eldorado. Wenn ich da so rausgehe auf die Bühne mit der Panikfamilie, dann spüre ich, das ist hier mein echtes Zuhause. Egal, wo wir gerade spielen. Ich habe das früher schon geahnt, aber so bewusst wurde es mir eigentlich erst während der Riesentourneen dieser drei Jahre.
Auf Tour spielen Sie jeden Abend eine dreistündige Show. Wie oft und intensiv trainieren Sie?
Udo Lindenberg: Man nennt mich auch einen kenianischen Langstreckenläufer oder eine flinke Gazelle. Eine Show ist natürlich auch eine sportliche Angelegenheit. In den Monaten vor einer Tournee und immer mal wieder zwischendurch bin ich in den Nächten irgendwo unterwegs und jogge. Damit ich mich nicht verlaufe, trage ich meine grünen Leuchtsocken. Mit diesem Navigator renne ich eine Dreiviertelstunde durch die Städte. Meistens mit Kumpels und manchmal auch alleine. Dann mache ich dann Sit-Ups und so. Denn du musst dich tausendprozentig auf deinen Body verlassen können. Wenn du da in dein Ufo-Gerät einsteigst, dann kannst du nie sagen: »Heute habe ich einen leichten Hänger«. Deswegen wird eisenhart trainiert.
Das war bei Ihnen nicht immer so. Ihr gemessener Rekordpromillewert lag bei 4,7, schreibt Benjamin von Stuckrad-Barre in seinem Lindenberg-Lexikon. Wie überlebt man das?
Udo Lindenberg: Mein Body kennt das auch anders, nämlich, als ich ihn wie einen Hund hinter mir hergezogen habe. »Komm, Scheiß-Body, wir gehen Ballern und nehmen alles Mögliche ein, bis der Arzt kommt«. Das kennt mein Body auch. Und jetzt freut er sich, dass ich ihn gut behandele. Deswegen singe ich »Mein Body und ich«. Ich bedanke mich auf diese Weise bei meinem Körper, dass er diese ganzen Exzesse durchgemacht hat und wir überhaupt immer noch leben. Die meisten Rock'n'Roller sind mit 70 platt. Radieschen gucken, ne.
Mit Ihren Stadionkonzerten wollten Sie Maßstäbe setzen. Wie viel Aufwand betreiben Sie jetzt für die kommende Hallentournee?
Udo Lindenberg: Wir werden noch ein paar mehr Songs spielen aus der neuen Studioplatte »Stärker als die Zeit«. Ansonsten wird es ein ähnliches Programm wie bei der Stadiontour, aber auch mit ein paar neuen Showbildern. Nach dem letzten Leipzigkonzert wollten wir eigentlich aufhören, aber dann sagten wir uns mit dicken Krokodilstränen: »Das kann noch nicht aufhören, es muss doch weitergehen«. Wir lieben diese Art zu leben einfach zu sehr, das zusammen unterwegs sein mit einer Panikfamilie. Das ist eine Art WG, weißte. Das ist für uns wie eine Droge. Wir wissen, dass das Publikum das Udopia genauso braucht wie wir. Sonst kommen die auf Entzug und hängen durch. Auch in Gegenden, wo wir noch nicht waren, in Meck-Pomm, in Schwerin, in Freiburg, in Mannheim und so, nicht wahr.
Was ist der Sinn des Lebens?
Udo Lindenberg: Ja, für mich sind das Erkenntnisse. Wie man mit Kunst weiterkommt und was sie bewirken kann. Sprache, Worte, Gedanken, Visionen können einem Power geben. Die sind nicht nur von mir, sondern auch von Freunden. Ich debattiere mit vielen Leuten über Texte und gesellschaftliche Entwicklungen, auch Politik. Als jemand, der in den Medien viel zu Wort kommt, kann ich für das ein oder andere Thema sensibilisieren. Um die bunte Republik Deutschland weiter nach vorne zu puschen. Ich bin für eine Welt ohne Mauern, Abgrenzung und Nationalstaatlichkeit und für das Aufdecken der Verbrechen der Waffenlobby und der Rüstungsindustrie in Deutschland, Amiland und Russland.
Sie sind in rebellischen Zeiten aufgewachsen. Gegen was rebellieren Sie heute?
Udo Lindenberg: Gegen das Wegducken und Anpassen. Ich plädiere für die Individualität und dafür, dass jeder sein Ding macht. Scheiß egal, was die anderen sagen und mit freundlicher Absprache mit den Andersdenkenden. So, dass man gemeinsam gute geile Sachen hinkriegt. Dass man sich nicht anpasst und den ganzen Fashion-Scheiß mitmacht, sondern in seiner Selbstfindung und -erfindung wie ein Leuchtturm in der Gegend steht. Als wichtigen Beitrag für alle Menschen. Ich erfreue mich an jedem Paradiesvogel und Querdenker jenseits vom normalen Mitgelatsche.
Udo Lindenberg: Stärker als die Zeit – Live (Warner Music) ist im Dezember ist als Dreifach-CD, Doppel-DVD/Blu-ray, Super Deluxe Box erschienen; Benjamin von Stuckrad-Barre: Udo Fröhliche! Das Lindenberg-Lexikon von Alkohol bis Zigarre (Axel Springer SE, TB, 224 S., 14,90 Euro); Udo Lindenberg geht im Mai wieder auf Tour; zu erleben u.a. am 9. in Chemnitz, am 11. in Riesa und am 14. Mai in Leipzig. Mehr zu Udo: www.udo-lindenberg.de/