■ Außerordentlich glücklich war Hilke Wagner, bis vor kurzem Leiterin des Braunschweiger Kunstvereins, angesichts ihrer Berufung nach Dresden. Nun hat sie ihren Dienst als neue Direktorin des Albertinums angetreten. DRESDNER-Redakteur André Hennig hat sich mit ihr über den Wert von Kunst unterhalten – und über ihre Pläne.
Die Dresdner sind ja vor allem aus einem eher konservativen Ansatz heraus außerordentlich glücklich mit ihrer Heimatstadt. Weniger glücklich sind sie mit allem, was modern ist, oder?
Hilke Wagner: Mein persönliches Anliegen ist natürlich, im Albertinum mehr zeitgenössische Kunst einzustreuen!
Was heißt einstreuen?
Hilke Wagner: Wir sind ein Museum der Kunst des 19. bis 21. Jahrhunderts und können in den Sammlungspräsentationen nur rund ein Zehntel unserer Schätze zeigen. Es herrscht Platzmangel und jedes Jahrhundert will und muss angemessen präsentiert werden. Ich hatte für die zeitgenössische Kunst große Pläne für den Lichthof, aber die Staatlichen Kunstsammlungen sind angewiesen auf Einnahmen durch Vermietungen, deshalb kann ich dort nicht dauerhaft großformatig installativ agieren. Zwischendurch wird es aber möglich sein, vor allem in den Sommermonaten. Mein Plan ist daher, temporär-installative oder auch performative Interventionen durchzuführen. Der Lichthof muss belebt werden!
Dann gibt es noch den Salzgassenflügel für größere Ausstellungsprojekte, auch diesen Raum teilen sich die Jahrhunderte paritätisch. Gerne würde ich hier den Blick über die Grenze, vor allem in die in die tschechische und polnische Kunstszene werfen, vor allem aber international relevante Gegenwartskunst nach Dresden holen.
Sie sagten einmal, es sei Ihnen wichtig zu zeigen, dass Kunst sehr viel mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun hat. Können Sie das erläutern? Ist für viele Leute Kunst nicht eher ein sehr entbehrlicher Luxus?
Hilke Wagner: Für mich ist Kunst so etwas wie die letzte Bastion des freien Denkens. Mich interessieren keine Positionen, in denen es allein um pure sinnliche Anmutung im Sinne eines interesselosen Wohlgefallens geht. Sondern Positionen, die uns betreffen, die es uns ermöglichen, ganz neu und frei von einem festgefahrenen Denken, einen neuen, alternativen Blick auf die Fragestellungen unserer Zeit zu bekommen, ganz egal, ob es um gesellschaftliche, ökologische, ökonomische oder politische Dinge geht oder auch um metaphysische.
Sich mit Kunst jenseits ästhetischer Dimensionen zu befassen, stellt ja oft keine kleine Hürde dar. Die Künstler selbst sehen es meist nicht als ihre Aufgabe, den Betrachter da rüberzutragen. Können Sie das?
Hilke Wagner: Ja, das ist mir natürlich ein zentrales Anliegen, die Menschen mitzunehmen. Belehren, bekehren oder aufklären möchte ich jedoch niemanden – aber anregen und herausfordern. Wichtig ist, beim Besucher das Vertrauen in den eigenen Blick zu stärken, denn auch in der zeitgenössischen Kunst geht es erst mal darum, hinzuschauen und sich Zeit zu nehmen. In unserer Konsumkultur haben wir uns angewöhnt, durch Ausstellungen zu rennen – und wenn dann nicht sofort etwas bei uns passiert, dann ist die Kunst nicht gut. Einen Film schaut man sich selbstverständlich anderthalb Stunden an, für eine Ausstellung bringt man diese Geduld häufig nicht auf. Kunst aber fordert ein aktives Hinschauen. Es geht eben auch darum, was bei uns (als Betrachter) passiert und nicht nur um das »Was will uns der Künstler damit sagen?«. Der Betrachter ist in diesem Sinne der Vollender des Kunstwerks.
Da ist natürlich auch der Entertainmentfaktor. Beim Film passiert die ganze Zeit etwas, beim Kunstwerk passiert in der Regel wenig, da muss man sich drauf einlassen?
Hilke Wagner: Genau! Mit allen Direktoren der SKD haben wir kürzlich über ein gemeinsames Leitbild diskutiert. Konsens herrschte über zwei Punkte: Dass wir mit unserem Tun mutig sein wollen und mitunter auch unbequem. Und dass wir ein Ort der Entschleunigung sein möchten. Entschleunigt heißt jedoch nicht langweilig.
Sie haben in Braunschweig oft interdisziplinär gearbeitet, Ihr persönliches Steckenpferd ist der Transfer Naturwissenschaft-Kunst. Warum?
Hilke Wagner: Wenn Kunst und Naturwissenschaften aufeinandertreffen, geht es häufig ans »Eingemachte«, dann kann es wirklich metaphysisch werden. Der Physiker Werner Heisenberg sagte einmal: »Der erste Schluck aus dem Becher der Wissenschaft führt zum Atheismus, aber auf dem Grund da lauert Gott«. Der Kern der Dinge also bleibt auch für die Naturwissenschaft ein Mysterium. Eine gemeinsame Suche finde ich spannend.
Das Albertinum rangierte hinsichtlich der Besucherzahlen in den vergangenen Jahren nicht mal in den Top 10 der Dresdner Museen. Spielt die »Quote« für Sie eine Rolle?
Hilke Wagner: In einem öffentlichen Museum kann man die Quote nicht ignorieren, möchte man aber ein konsequentes Programm machen, kann sie nicht Kriterium sein. Und mit zeitgenössischer Kunst ließ sich ohnehin noch nie Quote machen. Ich bin kein Fan von Spektakelkunst, aber auch nicht von künstlich erzeugter Hermetik. Ich möchte – im Bereich der zeitgenössischen Kunst – ein Programm für die Menschen machen, nicht an ihnen vorbei; ohne jemals populistisch zu werden. Man muss die Menschen jedoch erst kriegen, dann gehen sie auch weiter mit. Aber vielleicht sollten wir da in einem Jahr noch mal drüber sprechen oder noch später – das Programm für 2015 stand ja bereits vor meiner Einstellung. So lange zu warten, macht mich etwas kribbelig – ich würde natürlich gerne schnellstens ausprobieren, was geht!