■ Mit der Filarmonica Arturo Toscanini gastiert der international gefeierte israelische Dirigent Omer Meir Wellber im Juni mit zwei Konzerten bei den Dresdner Musikfestspielen. DRESDNER-Autor Aron Koban traf den Dirigenten in Parma, und sprach mit ihm über den Unterschied zwischen einem deutschen und italienischen Orchester, und darüber, wie Wagner aus Parma klingt.
Herr Wellber, Sie kommen gerade aus einer Probe. Gustav Mahler hat mal gesagt, ein Dirigent ist eigentlich nur für die Proben da. Würden Sie da zustimmen?
Omer Meir Wellber: Ja, (lacht) das ist eine gute Idee. Im Prinzip hat er recht. Es sind zwei verschiedene Mechanismen zwischen Probe und Konzert. In der Probe suchen wir unsere Grammatik, unser Vokabular, unser Zusammendenken, alle diese Sachen, aber richtig Literatur mache ich in der Probe niemals, und niemals in der richtigen Reihenfolge. Von der Mitte, oder von hinten nach vorn, das ist genau, was ich suche: Dieses Chaos darf erst im Moment des Konzerts eine Form finden, sonst verlieren wir am Ende diese Magie. Wir wollen nicht die Xte Wiederholung spielen, wir wollen in dem Konzert das Gefühl haben, dass wir etwas Neues finden und etwas Neues suchen.
Sie kommen jetzt mit der Filarmonica Arturo Toscanini aus Parma nach Dresden und stellen als Rahmen jeweils eine Verdi- einer Wagner-Ouvertüre gegenüber ...?
Omer Meir Wellber: Ich denke, für das Publikum in Dresden wird es sehr interessant, wirklich einmal zu hören, wie Wagner mit einem italienischen Orchester klingt. Sie spielen Wagner wirklich ganz anders, und ich versuche nicht, dass dieses Orchester in Dresden plötzlich wie die Staatskapelle spielt. Wagner hat eine große Tradition in Italien. Die Idee ist, dass dieses italienische Orchester mit einer anderen Deutung nach Dresden kommt, mit einer italienischen eben. Das kann eine sehr eindrucksvolle kulturelle Botschaft sein.
Gibt es einen Unterschied zwischen einem deutschen und einem italienischen Orchester?
Omer Meir Wellber: Ja, einen großen Unterschied! Die Streicher zum Beispiel. Das wichtigste Element der deutschen Schule ist, die Noten immer bis zu Ende zu spielen, die Priorität ist der Klang und seine Schönheit. In Italien sucht man hingegen die perfekte Phrasierung, was sehr interessant ist, wenn man große Stücke spielt, wie etwa die von Wagner. Dann gibt es diese Mischung von Klang und Phrasierung, was den Zuhörern eine neue, faszinierende Perspektive eröffnen kann.
Was halten Sie von dem immer wieder zitierten »German Klang«, gibt es den wirklich?
Omer Meir Wellber: Ja, absolut. Es ist ja nicht nur Klang, es ist das Denken, eine ganz andere Mentalität. Es hat sich über Generationen entwickelt und ist Teil der deutschen Klang-DNA geworden. Es kommt auch vom Kopf her – ebenfalls sehr deutsch. Ich habe immer diesen unglaublichen und interessanten Klang im Ohr, der mit der Staatskapelle entsteht. Ein Phänomen, das nicht so einfach zu beschreiben ist und sich nicht im schlichten Mehr-Bogen/Weniger-Bogen erschöpft. Der Klang trägt etwas in sich, das vom Herzen herrührt und etwas, das im Kopf entstanden ist. Das ist einmalig.
Sie spielen in den beiden Konzerten noch Tschaikowski und Schostakowitsch. Was hat es mit dieser Kombination auf sich?
Omer Meir Wellber: Das sind zwei Persönlichkeiten, die sich in ihrer Gesellschaft niemals gefunden haben. In dieser Nicht-Begegnung der beiden Künstler spiegelt sich die osteuropäische Musikgeschichte: Werke dieser beiden Künstler auf ein Konzertprogramm zu setzen, erzeugt für mich eine enorme spannungsreiche Dynamik.
Was interessiert Sie an dem Cellokonzert von Schostakowitsch?
Omer Meir Wellber: Das ist etwas persönliches, es war eine meiner großen Erfahrungen in der Musik. Ich war vielleicht 15 Jahre alt. Mistlav Rostropowitsch war in Tel Aviv mit dem Israel Philharmonic unter Zubin Mehta. Rostroprovich hat dieses Schostakowitsch-Konzert gespielt, das ich zuvor noch nie gehört hatte. Das Konzert hat mich geradezu schockartig ergriffen. Eine ganz extreme Erfahrung. Damals wusste ich: Dieses Konzert muss ich irgendwann einmal dirigieren.
Von Tschaikowski dirigieren Sie die 6. Sinfonie, die »Pathetique«, und das 1. Klavierkonzert. Hat sich durch den Krieg in der Ukraine etwas in Ihrem Verhältnis zu Tschaikowski geändert?
Omer Meir Wellber: Nein. Absolut nicht. Warum?
Er wird von der russischen Regierung vereinnahmt … ?
Omer Meir Wellber: Was hat Tschaikowski mit dem Krieg zu tun? Rein gar nichts. Schon historisch gibt es da keine Verbindung. Kein Staatschef ist stark genug, Komponisten wie Tschaikowski oder Wagner für sich zu vereinnahmen. Die Musik Tschaikowskis ist viel stärker als Autokraten oder gar Diktatoren.
Haben Sie einen Bezug zum Pathos in der »Pathetique«?
Omer Meir Wellber: Die Sinfonie hat kein Pathos, auch wenn Tschaikowskis Bruder gedacht hatte, ihr damit eine gute Überschrift zu geben. Doch trifft das Wort pathetisch, so, wie wir diesen Begriff heute gebrauchen, nicht das, was diese Sinfonie so großartig macht. Und das ist das zutiefst Persönliche, Intime. Der dritte Satz endet mit dieser großen Fanfare, die einen wie auch immer gearteten Sieg nahelegt. Doch folgt unmittelbar der vierte Satz, den ich attacca spiele, also direkt an den dritten anschließend ohne die übliche kurze Pause. Der Effekt, der entsteht, ist umwerfend. Denn mit dem Vierten Satz vergeht das Strahlen am Ende des Dritten, es wird düster. Man kann das als persönliches Erleben Tschaikowskis begreifen: Das Leben wendet sich, wird schwieriger. Genau das ist die Geschichte dieser Symphonie: Momente der Stärke und Überlegenheit vergehen im Handumdrehen. Und dann ist man plötzlich allein.
Das Klavierkonzert von Tschaikowski ist wirklich ein sehr oft gespieltes Stück. Wie gehen Sie mit solchen Stücken um, müssen Sie da noch etwas Neues dran finden? Ist das möglich?
Omer Meir Wellber: Mit Spannung warte ich in diesem Stück auf Mikhail Pletnev. Er spielt jetzt wirklich selten. Für mich ist er der größte Pianist seiner Generation. Mit seiner Interpretation wird er eine Aussage treffen. Da bin ich sicher. Mehr weiß ich noch nicht. Aber in einem bin ich mir sicher: Wenn wir ihn in diesem Konzert hören, werden wir spüren, dass sich große Komponisten mit ihrer Kunst niemals vereinnahmen lassen. Das wird für mich die Kernbotschaft dieses Abends sein.
Omer Meir Wellber dirigiert am 8. und 9. Juni, jeweils um 19.30 Uhr, im Kulturpalast die Filarmonica Arturo Toscanini mit Werken von Verdi, Tschaikowski, Schostakowitsch, Wagner und Respighi; Solisten sind Jan Vogler (8. Juni) und Mikhail Pletnev (9. Juni). Mehr Infos und Tickets unter www.musikfestspiele.com/