■ Frankreichs Aushängeschild des Autorenfilms wagt sich erstmals an die Aufarbeitung eines wahren Verbrechens. Doch François Ozon wäre nicht so erfolgreich, wenn er nicht auch dem hochsensiblen Thema Kindesmissbrauch ganz behutsam seinen künstlerischen Stempel aufdrücken könnte. DRESDNER-Autor Martin Schwickert sprach mit ihm über seine Beweggründe für »Gelobt sei Gott«, die aktuellen Verhältnisse im Vatikan und seine eigenen Erfahrungen mit katholischer Erziehung.
Ihr neuer Film »Gelobt sei Gott« rollt den Fall von sexuellem Missbrauch in der Diözese Lyon auf. Was hat Sie dazu bewegt, einen Film über Pädophilie in der katholischen Kirche zu drehen?
François Ozon: Eigentlich war ich auf der Suche nach einer Geschichte mit fragilen, sensiblen Männerfiguren. In einer Zeit in der sehr viel über die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau diskutiert wird, wollte ich in meinem neuen Film Männer zeigen, die nicht dem patriarchalen Stereotyp entsprechen. Was mich am Fall Preynat sehr überrascht hat: Alexandre war trotz seiner traumatischen Erfahrungen gläubiger Katholik und hat versucht, innerhalb der Kirche um Anerkennung und Gerechtigkeit zu kämpfen. Das hat mich sehr berührt. Als ich mich mit ihm getroffen habe, hat er mir sofort ein Packen Dokumente überreicht und gesagt: »Machen Sie damit, was Sie wollen«. Dies war der Ausgangspunkt meiner journalistischen Recherche.
Journalistische Recherche und Filme, die auf wahren Begebenheiten beruhen, waren bisher nicht Ihr Metier als Regisseur. »Gelobt sei Gott« ist kein typischer Ozon-Film … ?
François Ozon: Ich versuche für jeden Film die richtige Erzählform zu finden. In diesem Fall wollte ich mich in den Dienst der real existierenden Protagonisten stellen. Ursprünglich wollte ich daraus einen Dokumentarfilm machen, habe aber sehr schnell gemerkt, dass die Protagonisten sich mir gegenüber öffneten, weil ich ein Spielfilm-Regisseur bin. Sie vertrauten mir Dinge an, die sie der Presse nicht anvertraut hätten. Der Täter war durch die Presse in ganz Frankreich bekannt. Aber die wenigsten kennen die Geschichte der Opfer und ihrer Familien.
»Gelobt sei Gott« zeigt sehr eindrücklich, wie unterschiedlich die Opfer sexueller Gewalt mit ihrem Trauma umgehen. Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
François Ozon: Jedes Opfer hat eine andere Geschichte. Wichtig ist, wie die Familien darauf reagieren. Bei François sind die Eltern sehr schnell aktiv geworden. Alexandres Eltern hingegen wollten den Missbrauch nicht wahrhaben. Emmanuel war den Erlebnissen sehr viel schutzloser ausgeliefert, da zu dieser Zeit seine eigene Familie auseinandergebrochen ist und ihm eine Vaterfigur fehlte. Wir müssen uns vor Augen führen, dass es viele Menschen gibt, die diese Erfahrungen nicht bewältigen können und von ihren Erinnerungen in den Selbstmord getrieben werden.
Ihr Film reflektiert auch das sehr katholische Konzept der Vergebung, unter dessen Deckmantel Täter und Opfer an einen Tisch geholt werden. Ist eine solche Versöhnung überhaupt notwendig?
François Ozon: Diese Täter-Opfer-Gespräche zeigen deutlich das perverse Vorgehen der Kirche, die versucht, beide Seiten Händchen haltend an einen Tisch zu bringen. Alle Psychologen sagen, dass eine solche Konfrontation für die Opfer sehr gefährlich ist, weil sie erneut in die Situation der Machtlosigkeit hinein gedrängt werden. Pädophilie ist ein Verbrechen und somit eine Sache der Justiz.
Warum hat die katholische Kirche über so lange Zeit derart hartnäckig den sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen geleugnet, obwohl die Beweislast erdrückend war?
François Ozon: In Frankreich ist gerade ein Buch erschienen, das die Doppelmoral im Vatikan bezüglich des Themas Homosexualität untersucht. In »Sodoma« kommt Frédéric Martel zu dem Schluss, dass schätzungsweise 75 Prozent der Bischöfe und Kardinäle in Rom homosexuell oder homophil sind. Wenn diese Geistlichen anfangen sich gegen pädophile Priester einzusetzen, laufen sie Gefahr als schwul geoutet zu werden. Weil keiner an den Pranger gestellt werden will, schützen sie sich gegenseitig. Und so konstituiert sich jene »Omertà«, die dem Schweigegelübde der italienischen Mafia nicht unähnlich ist.
Wie ist Ihr eigenes Verhältnis zur katholischen Religion?
François Ozon: Ich bin ganz klassisch katholisch aufgewachsen und habe mit dem katholischen Glauben in meiner Jugend gebrochen, weil ich die Positionen der Kirche zum Thema Sexualität als scheinheilig empfand. Außerdem erkannte ich damals, dass das, was in den Evangelien steht, nichts mit dem zu tun hat, was die Kirche tut.
Hatten Sie als Kind oder Jugendlicher eigene Erfahrungen mit pädophilen Priestern?
François Ozon: Ich war sieben oder acht Jahre alt, als wir mit einem der Priester Verstecken spielten. Er hat zu mir gesagt: »Du, ich habe da ein Bomben-Versteck«. Als wir dort waren, fing er plötzlich an schwer zu atmen und mich an sich zu drücken. Ich habe ihn ganz impulsiv von mir weggeschubst. Als diese Erinnerungen in mir hochkamen, ist mir schon ein wenig schwindlig geworden. Wenn dieser Priester etwas offensiver vorgegangen wäre – wer weiß, was das aus mir und meinem Leben gemacht hätte.
»Gelobt sei Gott« (ab 26. September im Pk Ost, KiF und Schauburg) Frankreich 2019, Regie: François Ozon, mit: Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swann Arlaud u.a. Zum Trailer: http://youtu.be/VXeM65mq5DI