■ Um glaubwürdig in die Rolle des Narren schlüpfen zu können, benötigt man ein hohes Maß an Intelligenz, und Deutschlands meiste Band der Welt Knorkator spielt in der Hofnarrenoberliga. Sie bezeichnen ihre Fans als »erbärmliches Proletenpack« und werden dafür gefeiert. Mit ihrem speziellen Gebrauch von Superlativen haben sie die deutsche Sprache revolutioniert, und ihre Lieder bieten Weisheit und Trost für fast jede Lebenslage. Für das neue Album »Sieg der Vernunft« haben sie ihre Narrenkappe ein wenig gelüpft: es geht betont sozialkritisch zur Sache. DRESDNER-Autorin Annett Groh hat mit Keyboarder, Sänger und Texter Alf Ator ausführlich über die neue Platte, politische Haltungen und Jugendsünden gesprochen.
Ihr habt schon immer von der Scheiße gesungen, in der wir alle sitzen, und ihr habt das mit einer großen Leichtigkeit getan. Diese Leichtigkeit vermisse ich auf dem neuen Album ein bisschen ... ?
Alf Ator: Wenn man die Botschaften der einzelnen Songs nimmt, dann könnte einem das Lachen wahrscheinlich wirklich vergehen. Aber wir wollen natürlich, dass man beim Hören auch Spaß hat. Reflektiert haben wir immer schon – uns selbst und die Welt um uns herum, und wir haben damit unsere Spielchen getrieben. Aber: die Welt hat sich verändert, und mit dieser Welt – die auf sehr vielen Ebenen nicht mehr zum Lachen ist – setzen wir uns auch auseinander. Wir versuchen das weiterhin auf lustige Art, aber schönreden wollen wir nichts.
Ist das Album deshalb so ernst?
Alf Ator: Der eine findet es lustig, der andere findet es ernst. Es ist wahrscheinlich beides. Wenn wir auf der Bühne stehen, wollen wir den Leuten trotzdem ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Mit einem erhobenen Zeigefinger geht das nicht.
Die Botschaften sind aber doch deutlich herauszuhören. »Milliardäre« als Kapitalismuskritik und »Tut uns leid«, das die Endzeitstimmung von Bewegungen wie Fridays for Future oder Letzte Generation aufgreift ...?
Alf Ator: Ja, okay (lacht). Du hast mich erwischt. Bei »Tut uns leid« haben wir das aber so gelöst, dass wir in die Rolle der ignoranten Erwachsenen schlüpfen, und dadurch können wir zu einer lustigen Melodie auch rücksichtslos Partystimmung verbreiten – denn darum geht es ja. Und »Milliardäre« haben wir mit Absicht in den Marschrhythmus dieser stampfenden Arbeiterlieder vom Anfang des 20. Jahrhunderts gesetzt. In unserer Jugend in der DDR haben wir das gehasst, aber hier passt es so gut. Wir wollen den heutigen Linken auch ein bisschen zeigen, was eigentlich »links« ist – oder mal war. Denn es wird immer gern gesagt »Ich bin links«, aber wenn es um die Ziele geht, dann wird es schwierig. Heutzutage reduzieren sich die Ziele von Linken lediglich auf die Position »gegen rechts« – und damit hat sich’s. Wirkliche Ziele im Sinne von »Was will ich eigentlich? « und nicht nur »Was will ich nicht?« – die findest du selten, und schon gar nicht einheitlich.
Welche Reaktionen habt ihr denn dazu erhalten?
Alf Ator: Bisher beschränkt sich das im wesentlichen auf Kommentare unter dem Video. Die meisten Reaktionen sind positiv, darauf muss man sich aber nichts einbilden, weil sie zumeist von unseren Fans kommen. Aber es gibt auch Leute, die es in die eine oder andere Richtung falsch verstehen. Es gibt wirklich Leute, die sich die Zeit nehmen, unter dem Video einen ganzen Aufsatz zu schreiben, warum Milliardäre für die Wirtschaft wichtig sind. Und dann gibt es die, die alles genau andersherum deuten und sagen: »Ja, hängt die Reichen alle an die Laterne.« Das ist nun auch wieder nicht, was wir wollen, denn wir machen schon noch einen Unterschied zwischen »reich« und »superreich«. Es ist schwierig, komplexe Sachverhalte in so ein kurzes Liedchen zu packen. Eigentlich sagen wir im Text alles, was uns zu diesem Thema wichtig ist. Man sollte uns keine Einseitigkeit vorwerfen, nur weil es nach der einen oder anderen Richtung aussieht. Dieses Lied ist keinen Schritt weiter links oder rechts, als die Worte im Text es sagen. Politische Diskussionen sind zur Zeit schwierig. Die Leute können labern ohne Ende, aber eigentlich überflüssigerweise. Das Gespräch als Mittel, um einen Konsens zu finden und von dort aus weiter zu schauen – das ist verlorengegangen. Gespräche dienen nur dazu, seine eigene Meinung so laut wie möglich hinauszuschreien und keine andere Sichtweise daneben zuzulassen. Schade. Als Knorkator profitieren wir davon, dass wir auf der Bühne die Lautesten sind und die anderen zuhören müssen. Es ist natürlich schön, in so einer Position zu sein.
Ihr spielt aber nicht auf Konzerten, wo politische Haltung demonstriert wird, so wie das andere Bands tun wie die Ärzte, die Toten Hosen oder Kraftklub?
Alf Ator: Nö, wir sind nicht auf so einer Ebene politisch engagiert. Was die ganzen Parteien betrifft, kann ich mich mit keiner arrangieren. Und es greift ja auf die Existenz über, wenn man sich vor einen politischen Karren spannen lässt. In den 2000ern haben wir mal bei »Rock gegen Rechts« mitgemacht, und das war auch okay so. Der Appell damals ging an das jugendliche Befinden. Die meisten Jugendlichen sind ja eigentlich unpolitisch. Sie halten sich für rechts oder links, weil die Rädelsführer in ihren Klassen rechts oder links sind und sie irgendwie dazugehören wollen. Insofern hatte das damals eine gewisse Relevanz. Aber die ganze Positionierung »gegen etwas« ist inflationär geworden. Und es sind auch sehr viele bornierte, engstirnige Leute dabei – manchmal auch aggressive – damit will ich nicht identifiziert werden. Am Ende muss man sich dann Dinge vorwerfen lassen, die man selber zwar nicht gemacht hat, aber für die man sich »committed« hat.
Gibt es Lieder, die ihr aus irgendwelchen Gründen nicht mehr singen würdet?
Alf Ator: Es gibt so ein paar Lieder, aus denen wir ein bisschen herausgewachsen sind. Der alte Song »Ey du alte Ficksau« hat live sehr viel Spaß gemacht. Das war so eine infantile Geste à la »Ich lass mir nicht den Mund verbieten«. Aber ich würde mir blöd vorkommen, wenn ich jetzt so tun würde, als wäre ich noch Mitte zwanzig. Und es gibt mehr Lieder, die wir heute noch spielen und die auch frech oder doof sind. Doof sein macht einen Riesenspaß! Es gab so ein paar Aktionen, die würden heute vielleicht als politisch unkorrekt eingeordnet werden. Zum Beispiel hatten wir mal ein Konzert mit unseren eigenen, selbst gecasteten Knorkator-Tribute-Bands, die alle nur aus Frauen bestehen durften. Das war eigentlich der Zeit weit voraus. Aber damit das alles nicht ganz so artig wirkt, habe ich meine Keyboards von nackten Frauen tragen lassen. Ich glaube, ich hätte heute das Feingefühl, das nicht mehr so zu machen.