■ Zoë Beck, geboren 1975, ist Schriftstellerin, Übersetzerin, Verlegerin (CulturBooks) und Synchronregisseurin für Film und Fernsehen. Sie zählt zu den wichtigsten deutschen Krimiautoren und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Anlässlich der Lesung aus ihrem dystopischen Roman »Paradise City« hat DRESDNER-Autorin Kaddi Cutz mit ihr gesprochen.
»Paradise City« wurde vor Corona geschrieben. Liest man es nach nunmehr anderthalb Jahren Pandemie, fühlt sich Vieles fast schon erschreckend vertraut an und beinahe wie eine Prophezeihung … ?
Zoë Beck: Das hätte ich heute so gar nicht mehr schreiben können, denn es müssten jetzt gänzlich andere Überlegungen mit reinspielen.
Welche?
Zoë Beck: Es geht im Buch ja auch um das Anrecht auf die eigene Krankheit. Das hört aber in dem Moment auf, wo die Ausübung dieses Rechts bedeutet, dass du andere anstecken kannst und diese damit die Konsequenzen deiner Entscheidung ungefragt mittragen müssen. Da hätte man, wollte man das Buch nach Corona schreiben, deutlicher drauf eingehen müssen und das wäre dann irgendwo auch wieder ein anderes Thema geworden. Im Buch, so wie es jetzt ist, ist das Recht auf die eigene Krankheit gedacht als Kritik am neoliberalen, kapitalistischen System, dem man durch eine Erkrankung Schaden zufügt. Da wird dann gesagt: »Wenn immer mehr Leute an Depressionen erkranken, dann sind die nicht arbeitsfähig und verursachen auch noch Kosten.« Anstatt zu sagen, die Leute sind krank, um die muss man sich kümmern, damit es ihnen besser geht.
Denkst du, dieses Kümmern passiert zu wenig?
Zoë Beck: Wenn man schaut, wo gerade geforscht wird, dann ist da nicht immer unbedingt die Notwendigkeit ausschlaggebend. Die Antibiotika-Forschung geht seit Jahren zurück, weil das Wichtigste ja da ist. Dafür wird aber etwa das Thema multiresistente Keime ziemlich vernachlässigt. Wie auch Krankheiten, die nur wenige Menschen haben, weil da eben auch zu wenig Geld ausgegeben wird. Und dann gibt es noch den wichtigen Aspekt, dass viele Medikamente einfach vorwiegend an Männern getestet wurden, es sich aber zunehmend zeigt, dass Frauenkörper teilweise ganz anders darauf reagieren. Wenn es aber schnell gehen muss, weil die Wirtschaft bedroht ist, wird auf einmal Vieles möglich. Das kann man am Beispiel Corona ganz gut sehen. Mit dem Buch wollte ich die Frage aufwerfen: Wer entscheidet darüber, was ist krank, was ist gesund? Was ist normal und was unnormal? Und warum kann ich darüber eigentlich nicht selber entscheiden? Wenn ich mich schlapp und müde fühle, dann ist das vielleicht einfach mal drei Tage lang so und dann geht es wieder. Wieso muss ich dann gleich ein Medikament nehmen, nur damit ich sofort wieder funktionsfähig bin? Ausgangspunkt war aber der Aspekt der Fake News. Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, die Nachrichten einfach unreflektiert hinnimmt?
Das ist dir auf recht realistische Weise gelungen. Es fühlt sich ein bisschen an, als könnte das tatsächlich irgendwann so oder so ähnlich passieren, und gesundheitliche Überwachung wird Normalität?
Zoë Beck: Die Algorithmen und die Künstliche Intelligenz sind wie immer natürlich nur so intelligent, wie die Person, die das Ganze programmiert hat. Smartcase etc. sind quasi neue Körperteile, wo es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sie so klein sind, dass man sie unter der Haut trägt. Das macht mich jetzt rückblickend echt wahnsinnig, dass ich da an lauter Gedanken herumgefriemelt habe, die bei den Verschwörungstheoretikern total en vogue sind. Die denken ja, mit der Impfung werden wir alle gechipt.
Du bist selbst Verlegerin, engagierst dich auch zum Thema Sexismus in der Buchbranche. Auf welchen Ebenen zeigt sich dieses Problem?
Zoë Beck: Auf ganz vielen. Von der persönlichen Ebene bis dahin, wie Bücher produziert und vermarktet werden. So langsam tut sich ein bisschen was, Jurys werden weiblicher besetzt, generell wird mehr Literatur von Frauen besprochen. Grundsätzlich ist da aber immer noch eine Menge Aufräumbedarf, was zum Beispiel Geschlechterklischees angeht. Ich meine, »Frauenliteratur« – was soll das denn sein? Und was ist im Gegensatz dazu dann eigentlich Männerliteratur? Da gibt es viel zu tun, beim Schreiben, in den Welten, die da konstruiert werden. Aber auch abseits davon, in den Konzernstrukturen. Da arbeiten 80 Prozent Frauen, in der Führungsetage sitzen aber fast ausschließlich Männer.
Was machst du selbst als Verlegerin anders und inwieweit geht das überhaupt?
Zoë Beck: Wir haben sehr viele Frauen im Programm, unter anderem auch, weil die einfach die viel besseren Geschichten schreiben (lacht). Ich finde, die aufregendste neue Literatur kommt überwiegend von Frauen, oft mit afrikanischem oder asiatischem Hintergrund. Das sind wahnsinnig spannende Bücher von Frauen, die sich Gedanken darüber machen, wie die Welt funktioniert und warum sie so funktioniert.
Die am 3. Dezember im Erich Kästner Haus für Literatur im Rahmen der Reihe »Gescheiter oder Gescheitert« geplante Lesung mit Zoë Beck ist coronabedingt auf den 3. März 2022, um, 19 Uhr verschoben. Mehr zur Schriftstellerin: www.zoebeck.blog/about/