■ Es sollte die Morgengabe von Serge Dorny für seine Intendantenzeit an der Semperoper sein. Nun ist Dorny gegangen, bevor er kam, geblieben ist die Verpflichtung des katalanischen Regisseurs Àlex Ollé und der Gruppe »La Fura dels Baus« für Claude Debussys Oper »Pelléas et Mélisande«, die am 24. Januar in der Semperoper zur Premiere gebracht wird.
Diese Verpflichtung lässt ahnen, welch´ Sturmgebraus Dorny im amtlichen Götterhimmel von Wagner und Strauß entfachen wollte. Denn »La Fura dels Baus« heißt in etwa »Bachfrettchen«, was ziemlich sinnfrei ist, aber einen Wohlklang hat, wie Àlex Ollé im Interview einmal sagte: »Außerdem ist das Frettchen ein sehr lebhaftes Tier, im Namen kommt so auch die Energie unserer Darbietungen zum Ausdruck.«
»La Fura dels Baus« ist ein typisches Kind der wilden 70er Jahre. 1979 als Kollektiv gegründet, kam die Künstlergruppe bis in die 90er Jahre ohne Direktor aus. Mit den 90er Jahren entwickelte sich La Fura zu einem loseren Verbund, in dem die einzelnen Künstler sich immer wieder zu Projekten zusammenfanden. Dabei entstanden große Produktionen, die mit dem von Àlex Ollé und Carlus Padrissa inszenierten Programm für die Eröffnung der Olympischen Spiele 1992 in Barcelona mit seiner bildgewaltigen Ästhetik den Durchbruch fanden.
La Fura inszenieren von der Performance über das klassische Sprechtheater und Film bis zu großen Shows. Mitte der 90er Jahre kam das Musiktheater hinzu, Auftakt war die spektakuläre Inszenierung von Debussys »Le Martyre de Saint Sébastien« 1997 im Rom. Weiterhin stilprägend ist die kollektive Erarbeitung des Stückes, die Mischung der Diziplinen, Techniken und Technologien. Oder wie Àlex Ollé feststellt: »Was uns heute nach 35 Jahren immer noch verbindet, ist eine gemeinsame Sprache, eine bestimmte Art, Theater zu machen und zu verstehen, vor allem aber die Fähigkeit, ein Risiko einzugehen.« DRESDNER-Redakteurin Jana Betscher hat vor der Premiere nachgefragt.
La Fura del Baus ist bekannt für seine bildgewaltige Sprache. Was erwartet uns bei Ihrer Pelléas-Inszenierung?
Àlex Ollé: Es ist inzwischen schon eine Evolution über viele Jahre, seit wir in den späten 70er Jahren als Straßentheatergruppe begannen, große Stücke an ungewöhnlichen Plätzen zu entwickeln. Die Idee dahinter ist, nicht mit einer festgefügten Idee an ein Stück heranzugehen, sondern die Inszenierung mit den Beteiligten zu entwickeln und auf eine Vielzahl von Medien und Techniken zurückzugreifen. An erster Stelle steht dabei, über die eigene Sicht auf die Dinge nachzudenken. Ich möchte das Geheimnis des Stückes ergründen. Es ergeben sich viele Fragen, die ohne Antwort bleiben. Ich präsentiere eine sehr persönliche Interpretation der Oper, die, so hoffe ich, offen bleibt für die Interpretationen des Publikums.
Vordergründig ist »Pelléas et Mélisande« eine klassische tragische Dreiecksbeziehung. Mélisande ist mit Golaud verheiratet, liebt aber dessen Stiefbruder Pelléas. Wo sind da Ihre Anknüpfungspunkte?
Àlex Ollé: Für mich geht es in dieser Oper nicht sehr so um das tragische Schicksal der Mélisande, was in früheren Dekaden oft so gesehen wurde und zugegeben leicht zum sentimentalen Überschuss tendiert. Für mich ist es die Geschichte einer Frau, die sich immer und immer selbst wiederholt. Sie flieht vor dem, was sie verletzt und trifft doch wieder genau darauf. Sie bleibt in diesem Kreis gefangen. Und auch nach ihrem Tod erschließt sich ein weiterer Kreis in der nächsten Generation, der von Mélisandes Tochter.
Haben Sie für diese Konstellation ein Bild?
Àlex Ollé: Wir sehen auf der Bühne einen schwarzen Felsblock als Behausung für eine Familie. Mélisande ist auf ihre Art wilder, sie trägt die Naivität eines Kindes in sich. Die Familie manipuliert sie und stellt damit auch die Metapher für die Repressionen der Gesellschaft dar. Aber auch die Familie lebt in diesem Gefängnis, dem Felsblock, der von außen schwarz ist und innen vergoldet. Diesen schwarzen Felsblock kann man auch als Blackbox sehen, in der sich die Pläne, die Träume, die Beziehungen, die Informationen befinden. Wenn sich der Deckel des Steines hebt, wissen wir zunächst nicht, was sich darunter verbirgt.
»Pelléas et Mélisande«, nach dem symbolistischen Schauspiel von Maurice Maeterlinck, wurde 1902 in Paris uraufgeführt, das klingt erst einmal nicht sehr neuartig, oder?
Àlex Ollé: Was Debussy geschrieben hat, war für die musikalische Welt unglaublich neuartig. Er hat die musikalischen Regeln gebrochen und damit die Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks erweitert, wie auch Schönberg. Es gibt natürlich zahlreiche Berührungen mit den Bewegungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Die Aporien der Moderne, das Schöne im Hässlichen usw., die wir aus der Literatur von Poe und Baudelaire kennen. Aber es scheint auch die Nähe zum Surrealismus und zur Psychoanlyse Freuds und seiner Traumdeutung durch. Wenn man das Stück in die symbolistische Bewegung einordnen will, sind für mich die rezitativen Teile der Oper die wichtigsten: Ein solcher Lyrismus findet sich in dieser Fülle sonst nicht mehr im Schaffen Debussys.