Nicht an der Welt verzweifeln

Alles Kästner – zum 125. Geburtstag

Die Werke Erich Kästners sind nach wie vor fest in Dresdens kollektivem Gedächtnis verankert, und man kann davon ausgehen, dass fast jedes Kind in seiner Schullaufbahn einmal »Das doppelte Lottchen«, »Emil und die Detektive« oder »Die Konferenz der Tiere« liest. Dieses Jahr hält gleich zwei Kästner-Jubiläen bereit: Im Februar wäre der Schriftsteller 125 Jahre alt geworden, und der Juli bringt seinen 50. Todestag heran. Zu diesem Anlass fragen wir uns, warum seine Texte heute immer noch berühren.

Am 23. Februar 1899 wird Erich Kästner in Dresden geboren und wächst in der Neustadt auf. Seine Kindheit endet, als der Erste Weltkrieg beginnt und er in die Armee einberufen wird. Dies wird nicht der erste Einschnitt in Kästners Leben bleiben. In den 20er Jahren studiert Kästner in Leipzig und ist als Redakteur tätig. Schließlich zieht er nach Berlin, wo er zu einem bedeutenden Autor wird, er schreibt Artikel, Gedichte, Bücher und Drehbücher.

Dann erlebt der junge Literat die Machtergreifung der NS-Diktatur und muss mit einem Schreibverbot unter eigenem Namen im Dritten Reich über die Runden kommen. »Er hatte das Pech, in einer Zeit zu leben, in der ein Schlag nach dem anderen kam. All diese Wechsel haben ihn Gesellschaftssysteme durchleben und seine Schlüsse daraus ziehen lassen. Seine Erfahrungen haben ihn schon fast visionär gemacht«, sagt Andrea O’Brien, die Leiterin des Erich-Kästner-Hauses für Literatur. Die zwölf Jahre, in denen er seine politischen Überzeugungen verstecken musste, haben Kästner wahrscheinlich nie losgelassen. Oft soll er sich Vorwürfe gemacht haben, ob er sich genügend gegen das System gestellt hat. Vermutlich waren sie auch einer der Gründe, warum der Autor am Ende verstummte und sich dem Alkohol hingab.

In den Nachkriegsjahren lebt Erich Kästner in München und ist politisch aktiv, hält Reden gegen den Vietnamkrieg und die Wiederaufrüstung der Armee. In seinen Büchern geht es ihm mehr denn je darum, die Verhältnisse in Deutschland sichtbar zu machen, um für Veränderung zu sorgen. »Seine Art der Leseransprache war außergewöhnlich«, so Andrea O’Brien, »und viele seiner Themen sind so universell, dass sie heute noch präsent sind, wenn auch teilweise in etwas anderer Form. Bei der Beschäftigung mit Kästner fällt auf, was für ein scharfsinniger Beobachter er war und wieviele Dinge er antizipiert hat.«

Andrea O’Brien

Tatsächlich kann das Erich-Kästner-Haus in seinem Programm viele Bezüge Kästners zur Gegenwart herstellen. Da geht es um Ressourcenschonung, den Umgang mit Automatisierung und den Medien. Auch die zahlreichen Konflikte und Kriege zeigen, dass sich seit Kästners Zeit und an der Dringlichkeit seiner Literatur nicht viel geändert hat. »Aber er blickt trotz aller Krisen mit einer schmunzelnden Distanz und Ruhe auf viele Dinge«, merkt Andrea O’Brien an, »auf eine Art, die uns jetzt vielleicht manchmal fehlt.« Sein Credo war, nicht an der Welt zu verzweifeln, und sich bewusst zu machen, dass selbst kleine Gesten viel ausrichten können, wenn sie für mehr Verständnis der Menschen untereinander sorgen.

Die Veranstaltungsreihe »Alles Kästner«, die anlässlich des Jubiläums ins Leben gerufen wurde und an der sich zahlreiche Institutionen wie z. B. die Städtischen Bibliotheken Dresden, das tjg und das Zentralkino beteiligen, beinhaltet über 30 verschiedene Programmpunkte, darunter Ausstellungen, Lesungen und Liederabende, eine Filmreihe sowie Vorträge, Theaterstücke und eine Audioguide-Führung für Kästner-Fans. Ein Höhepunkt ist der Geburtstag am 23. Februar, an dem ein Lesespaziergang vom Kulturpalast zur Villa Augustin stattfindet, der anschließend in ein Kinderprogramm und eine 20er-Jahre-Sause am Abend mündet.

Rosa Preißler

Der 125. Geburtstag Erich Kästners wird mit zahlreichen Veranstaltungen das ganze Jahr in Dresden gefeiert; mehr dazu unter dresden-kulturstadt.de