Die Zeiten von Alben sind vorbei

Fritz Kalkbrenner im Interview

Er ist ein international gefeierter DJ und Produzent und gehört mit seinem Bruder Paul zu den erfolgreichsten Technomusikern des Landes. Mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl sprach Fritz Kalkbrenner über endgültige Schulverweise, teures Vinyl, kurzweilige Sets und schlechtes Timing.

Zwei Brüder gehen raus in die Welt und machen erfolgreich Musik. Wie muss man sich da die kreative Atmosphäre im Ost-Berliner Elternhaus vorstellen?

Fritz Kalkbrenner: Nicht so super situiert, dafür aber Bücher im Schrank. Meine Eltern sind beide Journalisten gewesen, Großvater und Onkel wiederum Maler. Wir sind die einzigen Musiker. Alles ganz schön großer Zufall.

Fritz Kalkbrenne, Foto: Ben Wolf

Du bist in der 12. Klasse wegen Nichtanwesenheit von der Schule geflogen. Hast du dich nachts zu viel in Clubs und auf Tanzflächen herumgetrieben?

Fritz Kalkbrenner: Ja, und das Ganze nicht mehr mit der nötigen Ernsthaftigkeit betrachtet. Im Nachgang ist das schwierig, aber es hätte bestimmt nicht geschadet, noch etwas Sitzfleisch zu haben. Da war aber schon alles zu spät und ich geistig längst woanders. Damals habe ich gedacht, ich wäre ein ganz Schlauer und dafür dementsprechend die Jahre darauf auch die Quittung bekommen.

Später warst du beruflich als Musikjournalist unterwegs. Hat der Job geholfen, auf dem Teppich zu bleiben, als sich 2008 mit »Sky and Sand«, dem Titelsong zum Film »Berlin Calling« bei deinem Bruder und dir der große Erfolg einstellte?

Fritz Kalkbrenner: Ich weiß nicht, ob der Job unbedingt die Rolle spielte. Auf jeden Fall ist es eine Altersfrage. Zum Zeitpunkt, als ich hauptberuflich davon leben konnte, war ich schon 25 oder 26. Vorher bin ich ein paarmal ordentlich auf die Fresse gefallen. Das ist recht hilfreich, um nicht gänzlich abzudriften. Es vermag keiner zu sagen, wie es gewesen wäre, wenn das alles mit 18 passiert wäre. Der Kelch ist glücklicherweise an mir vorbeigegangen. Aber klar, als Musikjournalist hatte man zu dem Zeitpunkt schon eine Menge gescheiterte Leute gesehen. Einigen wir uns auf ein Zusammenspiel von Alter und Job.

Deine letzte Platte »True Colours« erschien im März 2020, kurz bevor die Pandemie das öffentliche und kulturelle Leben lahmlegte. Hattest du Angst, das könnte ein verlorenes Album werden?

Fritz Kalkbrenner: Das war es ja auch, also ein verlorenes Album. Da haben die Plakate mehr gekostet, als was das Album eingebracht hat. Das liegt ganz klar daran, dass alles so war, wie es war. Das Album ist nicht schlecht, ich bin glücklich, es gemacht zu haben und es sieht im Regal gut aus. Auf der Habenseite arbeitet man aber auch für Geld und das ist eine hochdefizitäre Kiste gewesen. Ganz schlechtes Timing.

Was die Veröffentlichung von Alben angeht, hast du in der Vergangenheit einen Drei-Jahres-Rhythmus an den Tag gelegt. Ist eine neue Platte dementsprechend in der Mache, oder bedingt der Zeitgeist mittlerweile eher die Auskopplung von Singles?

Fritz Kalkbrenner: Die Zeiten von Alben sind leider auch für mich vorbei. Im elektronischen Bereich sind sie schon lange passé. Durch meine songartigen Nummern konnte ich das noch etwas länger aufrechterhalten. Unterm Strich hat der Zeitgeist das nun hinweggefegt. Das hat auch mit der Zuhörerschaft zu tun, was überhaupt nicht anzugreifen ist. Über die bricht so viel Material herein und jeden Donnerstag kommen zigtausende Veröffentlichungen hinzu. Da arbeitet man als Künstler ein Jahr an einem Album, dann ist es draußen und man zieht Nutzen von einer Woche. Das steht alles nicht mehr im Verhältnis. Schade, ich komme ja aus einer Zeit, wo man noch Konzeptalben gemacht hat.

Und trotzdem erlebt der Absatz von Vinyl schon länger eine Renaissance. Hast du daheim eine große Vinyl-Sammlung, die ab und zu noch aufgelegt wird?

Fritz Kalkbrenner: Ich habe 12.000 Platten. Da rettet sich der Tonträger wesentlich besser als die CD. Es wird ja auch viel nachgepresst.

Kaufst du noch regelmäßig Vinyl?

Fritz Kalkbrenner: Ab und an sehr gerne. Wie das aber die ganzen kleinen obskuren Bands und Musiker machen, deren Platten ich mir immer hole, bleibt mir ein absolutes Rätsel. Wenn ich in den letzten Jahren Vinyl gemacht habe, war das hochgradig defizitär. Aber trotzdem ist es immer noch schön lebendig, auch im Hinblick auf allerlei Reissues. Da geht’s fröhlich weiter.

Ab wann hast du dich eigentlich entschieden, auf deinen Tracks zu singen?

Fritz Kalkbrenner: Die erste Nummer, die ich gevocalt habe, war 2002. Mit der hatte ich produktionstechnisch überhaupt nichts zu tun, das war ein kleines Feature für Vinyl aus dem Berliner House-Umfeld um Cabinet Records. Als dann später meine eigene Karriere losging, war es mir aber zumindest nicht mehr ganz fremd. Das erste Mal Einsingen im Studio war trotzdem mit Zahnschmerzen verbunden. Vorher hatte ich mit großer Klappe behauptet, das ganz locker zu können. Als dann die Aufnahmezeit kam, mussten alle rausgehen, weil ich das vor denen nicht konnte.

Trotzdem hast du dann angefangen, auch live zu singen …

Fritz Kalkbrenner: Im Studio verliert man irgendwann die peinliche Berührung. Das verhält sich analog mit dem Auftritt und ist nochmal eine Latte, die man nehmen muss. Wenn man dranbleibt, schafft man es.

Am 2. Juni wirst du am Dresdner Citybeach auftreten. Was kann das Publikum von deinem Set erwarten und worauf freust du dich selbst?

Fritz Kalkbrenner: Das wird eine über zweistündige Show mit Live-Gesang. Ein Brimborium mit dem Besten aus 15 Jahren. Da ist es ein Vorteil, wenn man sechs Alben plus hat. Es klingt zwar ein bisschen abgegriffen, aber so fühlt es sich fast schon an wie eine Allstar-Show. Kurzweilig und knackig, was wiederum mir gefällt. Darauf kann sich der geneigte Zuhörer freuen.

Zusammen mit dem Winzer Nico Espenschied hast du einen Weißwein kreiert – Liebhaberei oder zweites Standbein?

Fritz Kalkbrenner: Bei mir ist es noch Liebhaberei und bei Nico ein quasi Seitenprojekt, da er ja auch noch eigene Hauptprojekte hat. Es ist immer gut, seine Fühler ausgestreckt zu haben. So fängt man nicht erst an nachzudenken, wenn die Not da ist. Ein sehr interessantes Feld, das mit all seinen Faktoren ziemlich Spaß macht. Das Ergebnis ist ein toller Wein.

Das Publikum ist in Teilen wahrscheinlich mit gealtert und mittlerweile eher an Wein als Pillen interessiert, oder?

Fritz Kalkbrenner: Das würde ich so nie sagen wollen.

Gerade ist Tina Turner verstorben. Soul-Atmosphäre spielt auch in deinen Songs eine Rolle. War ihre Musik für dich eine Inspiration?

Fritz Kalkbrenner: Nicht in meinem eigenen Portfolio. Da gab es andere wie Nina Simone oder Aretha Franklin. Ich habe Tina Turner quasi unter anderen Gesichtspunkten kennengelernt. Da war sie schon knietief im 80er-Strom, was mit ihren Sachen aus den 60ern unmittelbar nicht viel zu tun hatte. Das soll nicht heißen, dass mich das befremdet hat, aber bei der großen musikalischen Wiederaufarbeitung, die man selber so tätigt, hat Tina Turner bei mir keine große Rolle gespielt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Fritz Kalkbrenner ist am 2. Juni 2023 am Citybeach live und open air zu erleben; Einlass: 18:30 Uhr, Beginn: 19:30 Uhr. Achtung, limitierte Ticketanzahl! Mehr zum Künstler: fritzkalkbrenner.com