Endlich singen, ohne nachzudenken

Demian Kappenstein über das Phänomen »Betreutes Singen«

Seit sechs Jahren bitten Demian Kappenstein und Reentko Dirks allmonatlich zum kollektiven Singeabend. Die »Mitsingzentrale«, die zunächst in der Scheune residierte, hat seit deren Renovierung ein neues Zuhause in der Schauburg gefunden. Während Demian mit seiner saloppen Art das Publikum in Schwung bringt, und die dargebotenen Stücke mit Percussion unterlegt, spielt Reentko von Marianne Rosenberg bis Queen alles, was das Herz der Gäste begehrt. Der Songtext dazu wird in Echtzeit aus der Google-Suche an die Kinoleinwand projiziert. Beim ersten Termin in diesem Jahr, war der Saal bis auf den letzten Platz ausverkauft. DRESDNER-Autorin Rebecca Klärner sprach bei dieser Gelegenheit mit Demian Kappenstein über die »Mitsingzentrale«.

Ihr macht das mit dem Betreuten Singen ja schon seit 2017. Wie kamt ihr auf die Idee, das Format ins Leben zu rufen?

Demian Kappenstein: Reentko und ich sind als Musiker auch in anderen Konstellationen zusammen unterwegs und haben auch früher schon in Bands zusammen gespielt. Da war es oft so, dass wir nach den Konzerten noch mit den Veranstaltern oder Leuten aus dem Publikum zusammengesessen haben. Irgendwann hatte Reentko dann seine Gitarre wieder in der Hand und wir haben zusammen deren Lieblingslieder gesungen. Diese Atmosphäre, wie wenn man am Lagerfeuer singt, schätzen wir beide sehr. Irgendwann haben wir gedacht, das würde doch sicher vielen Menschen gut tun, gemeinsam zu singen. Und vor allem auch spontan herauszufinden, was man miteinander singen möchte. Wir haben uns dann im Januar 2017 entschieden, das einfach mal in einer Form zu bringen und auszuprobieren, in der Scheune. Und das stieß irgendwie direkt auf offene Ohren und wir hatten eine unfassbare Resonanz. Seitdem läuft das wunderbar. Und das unterscheidet sich von anderen Mitsing-Formaten, die es in Deutschland vielleicht noch gibt, insofern, als wir nichts vorgeben, sondern uns das mit dem Publikum zusammen erarbeiten.

Reentko Dirks & Demian Kappenstein beim betreuten Singen am Elbufer; Foto: Polypons

Und dieses Spontane ist ja etwas, was dir sowieso gut liegt, oder? »Feature Ring« zum Beispiel basiert ja auch auf Improvisation.

Demian Kappenstein: Ja, die Improvisation hat einen großen Stellenwert für mich, vielleicht auch aufgrund der Erfahrung mit der Jazz-Musik, darin liegt für uns beide auch ein großer Reiz. Das Publikum bekommt so eine ganz andere Rolle und einen anderen Stellenwert, weil es den Abend ganz stark mitgestaltet.

Gibt es Erlebnisse, die dir von solchen Abenden besonders im Kopf geblieben sind?

Demian Kappenstein: Ich kann mich an verschiedene Situationen erinnern, wo Leute sich gleichzeitig ein Lied gewünscht haben und wir uns dann nicht entscheiden konnten, welches wir zuerst spielen. Dann haben wir spontan entschieden, die Lieder gleichzeitig übereinander zu spielen. Also entweder die Melodie des einen Lieds über die Akkorde des anderen zu singen, oder auch den Text von dem einen Lied auf die Melodie des zweiten. Diese Offenheit und auch, dass Reentko das überhaupt gleichzeitig bewerkstelligt kriegt, ist für mich unglaublich. Oder auch die schlechten Google-Übersetzungen von englischen Originalen, die wir manchmal mit den Leuten singen. Da muss ich wirklich immer Tränen lachen, weil das gleichzeitig allen im Saal so viel Improvisationstalent abverlangt.

Ich stelle mir das schwierig vor, wenn das Publikum bei der Melodie strauchelt, trotzdem bei der Sache zu bleiben, gerade wenn man zwei Lieder übereinanderlegt.

Demian Kappenstein: Manchmal muss man die Leute dann wirklich einhaken und mitnehmen. Aber manchmal sind auch die Leute im Publikum die Textsicheren. Jeder Mensch im Saal kennt ja verschiedene Lieder. Und manchmal gibt es dann Gruppen, die ein Stück viel besser kennen als wir und wir kennen nur den Refrain, und dann versuchen wir uns da gegenseitig zu unterstützen, um etwas zu schaffen, wo alle wieder mit reingeholt werden können.

Die »Mitsingzentrale« wird also weitergehen?

Demian Kappenstein: Der Bedarf ist so groß. Und uns ist das für unser musikalisches Schaffen, was sonst auch eher konzertanter und ernster ist, ein echtes Bedürfnis – auch als Ausgleich – einmal im Monat diese Reihe zu machen. Es gibt da ja auch kein richtiges Schlagzeug, nur diese Percussion-Kiste für mich. Das ist also ein sehr abgespecktes Instrumentarium. Da geht es wirklich darum, obwohl man sich gar nicht als Sänger begreift, einfach nur miteinander zu singen. Denn dann kann wirklich jeder mitmachen. Wenn man weiß, über 200 Menschen kommen aus diesem Saal raus und haben zwei Stunden gesungen und sich nicht irgendwie blamieren müssen, das ist eigentlich das, was ich daran so toll finde.

Vielen Dank für das Gespräch!

Nächste Termine der Mitsingzentrale: 21. März (verlegt vom 14. März), 11. April, 16. Mai, jeweils 20 Uhr, in der Schauburg; Tickets: scheune.reservix.de