Die lange Durststrecke des Einzelhandels

Ein Blick in Läden der Neustadt

Das Stadtbild steht mit seinen Plakaten zu längst vergangenen Veranstaltungen an Wänden, Säulen und Tafeln, geschlossenen Läden und hochgestellten Sitzgelegenheiten in der Gastronomie still und befindet sich im andauernden Winterschlaf. Wer die letzten Wochen durch die Dresdner Straßen spaziert und in die Schaufenster der geschlossenen Geschäfte schaut, dem blickt hier und da noch die Winterware und die Weihnachtsdekoration an, immer wieder tauchen aber auch vereinsamte Glasfronten auf mit Schildern über leer stehenden Gewerberäumen, die zu vermieten sind. Laut dem Statistischen Bundesamt brach beispielsweise der Umsatz im Handel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren sowie der Einzelhandel mit Waren verschiedener Art im Januar 2021 gegenüber deb Umsatzzahlen von Januar 2020 um 76,6 Prozent ein. Dafür profitierte der Internet- und Versandhandel mit einem Umsatzanstieg von real 31,7 Prozent. Konsumiert wird also noch, nur verlagert sich der Einkauf vermehrt in den Online-Bereich, zum Leidwesen der regionalen Läden. Natürlich laden auch diese mit zahlreichen Zetteln und Hinweisen an den Türen der vorüber geschlossenen Geschäfte und laden zum Online-Shopping oder Anrufen ein. Seit 15. Februar ist der click&collect-Service wieder möglich, mit dem Ware, die zuvor online oder telefonisch bestellt wurde, im oder vor dem Ladenraum abgeholt werden kann. Durchgehend zu regulären Öffnungszeiten geöffnet und verfügbar ist übrigens auch das Neustadt-Original »Eisenfeustel«. Das Traditionsunternehmen auf der Bautzner Straße musste nicht schließen, da diese als »einschlägige Ersatzteilverkaufstelle« gilt. Doch gerade die Kommunikation über die Öffnung trotz Lockdown gestaltet sich schwierig. Deshalb hat der Mini-Baumarkt seit März letzten Jahres ein gut gepflegtes Instagram-Profil, welches liebevoll die breite Produktpalette vorstellt.

Anfang März stellte die Bundesregierung den Fünf-Stufenplan zur Öffnung vor. Je nach Inzidenzwert kann eine schrittweise Lockerung erfolgen. Schritt 2 lässt die teilweise Öffnung des Einzelhandels zu, darunter zählen Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte, die inzwischen als systemrelevant eingestuft werden. Schritt 3 schließt dann auch den restlichen Einzelhandel in die Öffnungen mit ein, alles verbunden mit Personen- und Zeitregelungen und einer stabilen Inzidenz von 50. Ein ausgelassenes und spontanes Einkaufserlebnis lässt also weiterhin auf sich warten, und von den Einzelhändlern wird organisatorisch viel abverlangt. Man kann nicht oft genug betonen, dass es sich lohnt, die regional ansässigen kleinen Shops zu unterstützen, anstatt weltweit Waren über Online-Giganten zu ordern.

Wer bei der Kunden-Kommunikation helfen will, ist der Gewerbe- und Kulturverein Dresden Neustadt. Darunter versammelt sich ein Netzwerk aus Gewerbetreibenden, das Interessen von ansässigen inhabergeführten Läden und Bewohnern des Viertels wahrnimmt, bündelt und in Maßnahmen umsetzt. So entstand im letzten Jahr das Projekt »Neustadt bringt’s«. Auf der gleichnamigen Website, die durch den Gewerbe- und Kulturverein Dresden Neustadt mit Unterstützung von »Neustadt-Geflüster« entstanden ist, veranschaulicht eine interaktive Karte welche Einzelhändler, Initiativen und Gastronomie- und Unterhaltungsangebote rund um die Neustadt ansässig sind, und ob diese ein Liefer- oder Abholangebot anbieten. Neben den gebündelten Kontaktinformationen sind zudem noch eine Kalenderfunktion geplant, die über aktuelle Aktionen hinweisen soll. Zudem wird darüber nachgedacht, so Torsten Wiesener vom Gewerbe- und Kulturverein, ob es möglich ist über die Website eine Lieferfunktion anzubieten, die im nahen Dresdner Raum einen Shuttle für Händler über ein Logistikunternehmen anbietet. Diese Idee ist durch die Schließungen und Kontaktbeschränkungen entstanden, sie soll und darf jedoch auch über die Corona-Maßnahmen hinaus den Service zur Verfügung stellen, Ware schnell und direkt ins Haus zu liefern.

Blume Salomé (Copyright: Annett Zollfeldt Fotografie)

Aber wie ergeht es denn nun regionalen Händlern seit dem Lockdown, und wie schauen sie auf das Geschäftsjahr 2021? Dazu war DRESDNER-Autorin Jenny Mehlhorn im Gespräch mit Torsten Daae vom Catapult, Remo Dudek von art+form, Maria Bernhardt von Blume Salomé und Steve Kupke vom Unipolar, die stellvertretend für den Einzelhandel ein gegenwärtiges Stimmungsbild wiedergeben, das zeigt, wie viel Mühe und Herzblut in die einzelnen Ladenprojekte gerade gesteckt wird.

Was habt ihr während der Schließung gemacht, gestaltet, verbessert, verwirklicht?

Catapult: Zunächst ist durch die zwangsweise Schließung der normalerweise umsatzstärksten Wochen vor Weihnachten unser Ladenumsatz seit dem 14. Dezember 2020 komplett eingebrochen. Wie auch im Frühjahrs-Lockdown haben wir neben der Inventur im Januar weiter verstärkt an unserem Onlineshop-Angebot catapult.de gearbeitet und die erfolgreichen Corona-Care-Pakete durch weitere Geschenkboxen sowie den weiteren Aufbau des Gesamt-Onlinesortiments deutlich erweitert.

art+form: Tatsächlich waren wir auf den zweiten Lockdown besser vorbereitet als beim ersten Mal im März, wo es uns ziemlich unerwartet getroffen hatte. Nach kurzem Verschnaufen, so mitten im Weihnachtsgeschäft ausgebremst zu werden, haben wir viele Kapazitäten in unseren Onlineshop gesteckt. Viele Stammkunden und Dresdner haben die Chance genutzt, sich darüber mit letzten Weihnachtsgeschenken zu versorgen. Wir haben Anfang Januar unsere Inventur etwas verlängert, einmal alles gezählt und auf Hochglanz poliert. Wir haben die Zeit genutzt, neben einem neuen Kassensystem auch eine neue Warenwirtschaft für den Laden zu installieren – nun sind wir ganz gespannt auf die Feuertaufe zur Ladenöffnung. Wir haben gestrichen, gefliest, und nun bekommt noch unser Parkett einen neuen Schliff und eine neue Versiegelung – wird sind also rundum bestens vorbereitet auf den Neustart.

Blume Salomé: Ich habe Mitte November aufgemacht und hatte einen sehr guten Start. Die Umsätze sind dann mit dem Lockdown von heute auf morgen um ca. 60 Prozent eingebrochen. Zu Weihnachten kamen noch einige Bestellungen rein, das hat noch etwas Geld in die Kasse gebracht. Im Januar konnte ich mit den Einnahmen nicht mal ansatzweise die Fixkosten decken. Seit Februar geht es wieder etwas aufwärts. Ich bin angewiesen auf Laufkundschaft, wie fast jedes Geschäft in der Äußeren Neustadt. Da ich erst im November aufgemacht habe, habe ich leider kaum Stammkunden und es dauert auch ohne Lockdown lange, bis sich ein neuer Blumenladen herumgesprochen hat. Mit der Schließung habe ich erst mal Pause gemacht, geputzt, letzte Babykrankheiten des Online-Shops behoben, im Laden umgestellt. Ich verkaufe neben Blumen, Vasen und Töpfen auch Prints und Grußkarten von ausgesuchten Designern und Illustratoren. Hier hatte ich endlich mal Zeit, mich um neue Kooperationen zu kümmern.

Unipolar: Es war erst mal ein Schock, aber wir haben das Beste daraus gemacht. In der Weihnachtszeit waren es erfreulicherweise viele Onlineshop-Bestellungen, mit denen wir gut beschäftigt waren. Im Januar wurde es wie erwartet ruhiger. Wir haben im neuen Jahr mit der Inventur angefangen. Als klar wurde, dass die Wiederöffnung verschoben wird, haben wir uns Gedanken gemacht wie wir den Laden aufhübschen können. Dann haben wir mit der Renovierung begonnen. Parallel arbeiten wir an dem Ausbau unseres Onlineshops und möchten die Benutzerfreundlichkeit zum Beispiel durch Filtermöglichkeiten verbessern. Wir haben die Zeit auch genutzt, um unsere Arbeitsabläufe zu optimieren und ein Arbeitshandbuch für alle zu verfassen.

Catapult auf der Rothenburger/ Ecke Böhmische Straße

Was sind eure Erfahrungen mit click&collect, und welchen Service könnt ihr noch anbieten?

Catapult: Click&collect war in Sachsen seit dem Lockdown im Dezember behördlich untersagt, erst seit dem 15. Februar können wir es wieder unseren Kunden anbieten. Bislang wird diese Einkaufsmöglichkeit jedoch sehr zaghaft genutzt. Über unseren Onlineshop www.catapult.de versenden wir europaweit per DHL unsere beliebten Geschenkpakete.

art+form: Endlich ist es nun wieder möglich, vorab bestellte Waren direkt bei uns abzuholen. Bestellen kann man bequem im Onlineshop, aber auch telefonische Anfragen und Wünsche per E-Mail versuchen wir alle zu erfüllen. Natürlich ist es auch weiterhin möglich, sich die Waren einfach nach Hause liefern zu lassen – ab 40 Euro Bestellwert versenden wir deutschlandweit sogar ohne Versandkosten.

Blume Salomé: Ja klar, click&collect läuft. Leute bestellen Vasen, Pflanzen, Keramik, Prints und Grußkarten im Online-Shop und Schnittblumen via Google Maps (Chatfunktion), Telefon, Instagram und Mail. Es zieht sehr langsam an, aber es zieht.

Unipolar: Ja, man kann über unseren Onlineshop bestellen und die Bestellung täglich bei uns in der Neustadt abholen. Zusätzlich kann man sich per Telefon kompetent zu seinem Einkauf beraten lassen. Wir freuen uns durch die Abholung vor Ort über jedes freundliche Gesicht (hinter der Maske), das fühlt sich nach ein bisschen Normalität an, wenn man ansonsten nur Pakete packt. Wir merken definitiv einen Umsatzanstieg in unserem Onlineshop, der hauptsächlich von unseren Stammkunden genutzt wird.

Im Unipolar

Werdet ihr finanziell unterstützt, gibt es Hilfen vom Staat?

Catapult: Finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite haben wir bislang nicht erhalten. Einzige Hilfe ist die Beantragung des Kurzarbeitergeldes, welches jedoch erst nach zwei Monaten von der Bundesagentur an uns ausgezahlt wurde.

art+form: Das größte Problem ist die fehlende Planbarkeit. Entscheidungen zu Verlängerungen von Maßnahmen, neuen Vorschriften etc. werden immer sehr kurzfristig beschlossen, der Handel ist nicht einbezogen und es fehlt eine Perspektive, womit wann zu rechnen ist. Man kann da immer nur mutmaßen und das macht es schwierig, Warenbestände, Aktionen im Jahr aber auch Personal zu planen. Von allen vollmundig angepriesenen Unterstützungen von Land oder Bund ist bei uns nichts angekommen. Es deprimiert schon gewaltig, dass hier viel geredet und versprochen wird, aber real am Ende nichts ankommt. Da fühlen wir uns schon allein gelassen.

Blume Salomé: Natürlich ist Geld das größte Problem. Als Neugründerin sind für mich keinerlei Corona-Hilfen vorgesehen. Ich zehre von meinem Ersparten. Wenn ich nicht bald aufmachen darf, muss ich einen Kredit aufnehmen. Auch die Motivation leidet. Aber Aufgeben kommt momentan nicht in Frage.

Unipolar: Dadurch, dass unser Onlineshop einen gewissen Umsatz abwirft, sind wir für die Überbrückungshilfen nicht berechtigt. Trotzdem haben wir die monatliche Ladenmiete und weitere Fixkosten zu stemmen. Wir möchten gar keinen Ausgleich für den fehlenden Umsatz, aber eine Beteiligung an den Fixkosten wäre wünschenswert. Einiges an Winterware ist übrig geblieben, wobei wir hoffen, diese noch im nächsten Winter verkaufen zu können. In den kommenden Wochen erreicht uns die Frühlings- und Sommerkollektion, die wir stets vorfinanzieren müssen. Dadurch ergibt sich ein Liquiditätsengpass, welcher nur durch ein Darlehen gepuffert werden konnte. Bei regulärem Betrieb der Läden hätten wir es aus eigener Tasche stemmen können.

Wie plant ihr dieses Jahr?

Catapult: Die Planbarkeit ist tatsächlich sehr schwierig, da wir etwa für unser Oster-Sortiment einen Vorlauf von ca. einem halben Jahr haben, um Saisonware gezielt auf Messen einzukaufen. Die Messebesuche sind nun komplett weggefallen und eine Akquise neuer Artikel funktioniert nur über Online-Kanäle der vertrauten Lieferanten. Da derzeit noch unklar ist, ab wann unser Laden geöffnet werden kann, ist ein Einkauf an saisonaler Frühlingsware bislang im Vergleich zu den Vorjahren nur sehr zaghaft und vorsichtig erfolgt. Insgesamt sind wir jedoch optimistisch, dass mit Ladenöffnung wieder viele Kunden zu uns kommen werden.

art+form im Februar

art+form: Wir versuchen das Bestmögliche – mit Herz und Bauch und ordentlich Optimismus. Zum Start ins neue Jahr haben wir gesagt: »Es kann ja nur besser werden.«

Blume Salomé: Ich habe die wenigen Rücklagen, die ich für Investitionen hatte, aufgebraucht. Eigentlich wäre Anfang des Jahres der richtige Zeitpunkt, um Osterware zu bestellen. Hier werde ich einige Abstriche machen müssen, da ich nicht weiß, ob ich die Ware absetzen kann.

Unipolar:Wir haben gerade die Herbst/Winterkollektion bestellt, waren aber sehr zurückhaltend, da wir noch Lagerbestände haben und wir nicht wissen wie viele Monate im Jahr wir überhaupt öffnen können. Unseren Laden in Dresden-Mitte schließen wir zum 31. März dauerhaft. Wir wollten diesen eigentlich zum Abschluss noch gebührend mit Aktionen feiern, aber leider ist dies nicht möglich.

Vielen Dank!