Steffen Wilde, Geschäftsführer des Jazzclub Tonne e. V. – befragt von Heinz K
Wie hast du persönlich die letzten Wochen seit Einstellung des Veranstaltungsbetriebs verbracht?
Zunächst einmal für einige Tage relativ konsterniert und gelähmt. Die neue Situation, die von heute auf morgen über uns hereingebrochen ist, galt es erst einmal zu verarbeiten. Dann kam eine große Solidaritätswelle. Sowohl uns gegenüber als auch von uns als Veranstalter unseren Partnern gegenüber. Leute fragten per E-Mail, per Telefon, wie es uns geht, wie sie helfen können. Wir wiederum haben bei vielen nachgefragt, wie die Situation ist. Das war sehr berührend, tröstlich, erfreulich, gab und gibt weiterhin Zuversicht und Kraft.
Im Büro eines Veranstaltungshauses kommt man meist nicht wirklich zum konzentrierten Nachdenken. Da fragen Bands und Agenturen nach Terminen, da kommt die Bierlieferung, da muss der Club für das Abendkonzert hergerichtet werden – Telefon oder Türklingel rasseln gefühlt immer. Das gehört natürlich alles zu unserer Arbeit dazu. Doch kreativ werde ich eher im Homeoffice, in der Abgeschiedenheit. Andererseits dann aber auch bei Veranstaltungen, im direkten Austausch mit dem Publikum und durch Gespräche mit den Besuchern. Genau das fehlt ja nun gerade und wir alle vermissen es schmerzlich.
Lockerungen sind beschlossen, aber es fehlt noch immer ein klarer, gesetzlicher Rahmen, nach dem Veranstaltungen im Clubrahmen wieder möglich sind. Unter welchen Voraussetzungen wäre es denn in der Tonne wieder möglich (und sinnvoll) Konzerte zu veranstalten?
Das ist wegen der fehlenden Vorgaben tatsächlich noch sehr schwer zu beantworten. Wollen wir Konzerte, bei denen Menschen weit voneinander im Zuschauerraum sitzen, vielleicht sogar Masken tragen müssen, vielleicht nicht ihr Glas Wein oder Bier oder Limonade zur Musik genießen können, nicht davor, dazwischen, danach in lockerer Runde und miteinander, mit den Musikern, mit uns Gespräche führen dürfen, ohne penibel auf den Abstand zu achten? Wollen wir veranstalten ohne die Atmosphäre, die Live-Veranstaltungen bis dato so attraktiv machten? Das wollen wir natürlich nicht, denn genau wegen dieser unvergleichlichen, einmaligen Atmosphäre sind Musiker Musiker und sind wir Live-Veranstalter geworden. Aber: Sicherlich werden wir uns in absehbarer Zeit mit dieser Situation zwar nicht anfreunden können, aber arrangieren müssen. Denn eine Rückkehr der bekannten und geliebten Konzertatmosphäre wird mit Sicherheit noch lange auf sich warten lassen (müssen).
Wäre für dich Streaming mit Künstlern eine Alternative, um die veranstaltungsfreie Zeit zu überbrücken?
Streaming ist für mich nur eine Notlösung, keine wirkliche Alternative. Es gibt darunter schöne Ideen und einige Beispiele für gelungene Streaming-Konzerte, die mir beim Anschauen auch Freude bereitet haben. Auch aus der Tonne wird es Streaming-Konzerte geben (das erste vierstündige im Rahmen der Klubnetz Sessions am 13. Juni). Aber in größerem Maße ausweiten möchten wir das nicht, da wir Live-Veranstalter sind und das auch bleiben wollen.
Was mich vor allem an den Konzertstreamings stört, ist neben der absolut unersetzlichen Live-Atmosphäre, dass Musik hier meist kostenlos und damit unter Wert angeboten wird. Es ist eben nicht nur Spaß, der Musiker zum Instrument greifen lässt, sondern sie möchten und müssen auch davon leben können. Das sollte sich auch in – meinetwegen geringen – Eintrittsgeldern für Online-Angebote niederschlagen. Kunst und Kultur sollte allen etwas wert sein. Nur so kann sie erhalten werden.
Woran mangelt es deiner Meinung nach in der Krisenbewältigung und an Unterstützung und ab wann wird es für den Jazzclub Tonne kritisch?
Es mangelt vor allem an Angeboten, die über kurzfristige Hilfen hinausgehen. Die Tonne hat bisher keines der angebotenen Rettungspakete nutzen können, da für alle eine Finanzmisere innerhalb von drei Monaten nach Beginn des Shutdowns Voraussetzung war. Die haben wir nicht. Kritisch wird es für die Tonne in der zweiten Jahreshälfte, wenn Veranstaltungen mit einer größeren Zahl an Besuchern dann immer noch nicht möglich sein sollten. Es müssen deshalb angepasste Rettungspakete an den Start gebracht werden, die Einnahmeausfälle für diese Zeit, auf lange Sicht absichern. Wir sind es als Kulturarbeiter im Unterhaltungssektor zwar gewöhnt, am Limit zu arbeiten, aber daran üben wir seit langem Kritik. Nun ist die Situation noch einmal wesentlich verschärfter und der Zeitpunkt für entsprechende Maßnahmen inzwischen überschritten.
Woran es aktuell nicht mangelt, ist die Unterstützung seitens unseres Publikums. Da ist die Sorge um uns und die Kultur im Allgemeinen nach wie vor groß, da sind die Spendenbereitschaft und Unterstützungsangebote nach wie vor da. Ebenso erfahren wir permanent Unterstützung von Musikerinnen und Musikern und Künstleragenturen, die sich nicht nur um sich selbst sorgen, sondern gemeinsam mit uns Lösungen suchen, die jetzt ausgefallenen und noch abzusagenden Konzerte für beide Seiten möglichst unproblematisch zu verlegen und nachzuholen.
Was wäre dein Wunsch an Politik und Verwaltung und wo steht dann die (Club-)Kultur, wenn sich der Alltag wieder normalisiert?
Generell kam Kunst und Kultur in den politischen Diskussionen und in den Nachrichten der vergangenen Wochen viel zu wenig vor. Welch hohes Gut wir mit Kunst jeglicher Form haben, wurde damit nicht nur nicht gewürdigt, sondern man fühlt sich dadurch fast schon abgewertet. Hier wünsche ich mir viel mehr Beachtung. Wir wollen doch ein kulturvolles Leben leben und nicht nur arbeiten, essen und schlafen. Vor diesem Hintergrund ist die Sorge der Kulturschaffenden ebenso wie die der Kulturgenießer berechtigt sehr groß, dass viele kleine und große Zahnräder der Kultur jetzt durch die Krise vernichtet werden. Welche Ausmaße das letzten Endes annehmen wird, ist noch gar nicht absehbar. Der ganz große Wunsch an Politik und Verwaltung deshalb: jetzt handeln, bevor es zu spät ist!