Was bleibt? – Antje Schupp und Sigal Zouk liefern mit ihrer Performance »Loss & Luck« in Hellerau die Antwort
19. Juni 2021 – Da steht sie nun und kann kaum anders. Antje Schupp hat sich zu Beginn ihrer Performance im Nancy-Spero-Saal des Festspielhauses Hellerau mit dem Gesicht zur Wand gedreht, ignoriert das Publikum. Über ihr, in leuchtenden Buchstaben, der Titel der Arbeit, groß, plakativ. Ein Stück weiter vorn hängt ein Blumenstrauß kopfüber von der Decke. Und Antje Schupp lässt sich Zeit mit ihrem Solo, viel Zeit. Denn Zeit ist hier, inhaltlich, relativ. »Was bleibt?«, fragt sie, nach dem Tod eines geliebten Menschen? Und sie hofft, so fügt sie hinzu, heute Abend die passenden Worte zu finden. Um das zu erreichen, richtet sie den Blick nach innen. Ihre Performance bleibt lange sehr bewegungsarm, sie windet sich am Boden, hangelt sich an der Wand entlang. Äußerlich ist dabei kein Ziel, keine Motivation erkennbar. Das verhindert eine direkte Verbindung zum Publikum. So gesehen fällt es schwer, ihr bei ihrem im Inneren ablaufenden Reflexionsprozess zufolgen. Das Denken kann man nicht sehen. Mit dieser Introspektion teilt sich die Performerin kaum mit, bleibt ganz bei sich, verhalten. Sie setzt sich ans Klavier, beginnt zu spielen, aber auch wieder nur für sich.
Das erlaubt dem Zuschauer, den eigenen Gedanken Raum zu geben, abzuschweifen. »Loss & Luck«, Verlust und Glück. Wie definiere ich das für mich selbst? Wie können wir es schaffen, Innerlichkeit so zu bearbeiten, dass es uns im nächsten Moment gelingt, uns ganz persönlich mitzuteilen? Antje Schupp versucht das mit Worten, mit Bewegungen, mit dem Klavierspiel. Trotzdem bleibt sie verinnerlicht. Der Tod kennt keine Antworten, weil er keine Fragen stellt. Wir sind es selbst, die Fragen stellen, wenn wir übrig geblieben sind, den Toten gegenüber stehen, weil wir noch leben.
Irgendwann, wer kann schon sagen, wie viel Zeit vergangen ist, platziert Antje Schupp einen Mikrofonständer auf der Bühne und tritt ans Mikrofon, wieder dem Publikum den Rücken zugekehrt. Diese Position, in die der Zuschauer damit gerückt wird, ist ganz entscheidend für das, was darauf folgt. Am Ende der ersten Vorstellung am Freitag hat es danach lange, sehr lange gedauert, bis der Applaus kam. Er hatte etwas von Erlösung, in einem kathartischen Sinn.
Rico Stehfest / Fotos: Katharina Seibt
Nächste Vorstellung: Festspielhaus Hellerau, 20.30 Uhr
|
|
|