Wahnsinn hat keine Methode – Ensemble La Vie e.V. zeigt im projekttheater die Bodenlosigkeit eines Amoklaufes
02. Oktober 2018 – Weiß ist die Farbe der Unschuld. So unschuldig ein jedes Opfer eines Amoklaufes ist, so unschuldig sind die weißen Luftballons in »Bang, Bang, Du bist tot« unter der Regie von René Rothe. So sinnlos Menschenleben im Zug eines Amoklaufs ausgelöscht werden, so sinnlos zerplatzt hier ein Luftballon nach dem nächsten. Und die Menschen fallen um wie die Fliegen. Einfach so.
Kann man Verständnis für die Taten eines Amokläufers entwickeln, wenn man seine Motive kennt? Entschuldigen kann eine solche Tat nichts, das steht außer Frage. Dabei ist es nur zu leicht nachvollziehbar, welches Machtgefühl eine Waffe in den Händen eines Menschen hervorrufen kann, der sich sozial isoliert, an den Rand gedrängt, ausgesondert fühlt. Eine Schusswaffe verleiht einem solchen Menschen leicht das so trügerische wie zynisch pervertierte Gefühl von Unverletzlichkeit. Ja, so eine Waffe kann sich wie ein Doktortitel anfühlen.
Was sich auf der Bühne des projekttheaters abspielt, ist eine Wiederkehr der Toten, die alle die gleiche Frage stellen: Warum? Warum hast Du gerade mich getötet? Da kann, in aller Absenz von Logik in einem solchen psychologischen Gefüge, schon mal die bittere Antwort kommen, die Welt sei überbevölkert.
Der Clou dieser Inszenierung besteht darin, die Rolle des Täters, des Amokläufers, nicht fest einem Darsteller zuzuschreiben. Jeder ist ein Täter, jeder ist mal an der Reihe, in diese Haut zu schlüpfen. Der Effekt der dadurch entsteht, kanzelt den Amokläufer als solchen nicht individuell ab, sondern gibt ihm jedes Gesicht, das existiert. Der Amokläufer ist nicht der Andere. Der Amokläufer, das sind wir alle. Schuldig sind wir alle.
Vielleicht ist das die einzige Antwort, die man auf alle Fragen geben kann, die angesichts eines vollkommen sinnlosen Massakers entstehen. Da ist es nachvollziehbar, dass die intensiven Momente, von denen es angesichts der Thematik nicht gerade wenige gibt, hauptsächlich unter hohem Druck in enormer Lautstärke ihren Ausdruck finden. Vielleicht wäre es ratsam gewesen, gerade die Verzweiflung und völlige Orientierungslosigkeit der einzelnen Opfer und Hinterbliebenen mit besonderer Sensibilität sorgsam in konzentrierter Ruhe zu gestalten. Aber genau das ist das Problem, das sich nach einem Amoklauf jedes Mal auftut. Man denkt sich: »Vielleicht hätte man dieses oder jenes tun können oder tun sollen, um das Geschehene zu vermeiden.« Hinterher ist man bekanntlich immer klüger.
Rico Stehfest / Fotos: Eric Jacob
Nächste Vorstellungen: 7. und 8. Dezember im projekttheater
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