Pflanzen sprechen nicht – „Der Garten“ gibt den Stimmlosen dennoch keine Stimme

Hellerau, 24. Januar 2020. Was tun drei Frauen, den Kopf auf dem Boden, die Arme in den Rücken gestützt, die Beine in wechselnden Posen in verschiedene Richtungen verdreht und verbogen? Sie sind Pflanzen! Mit dem Gehirn erdnah und den Gliedmaßen nicht immer nachvollziehbar von sich gestreckt, machen die drei Tanzperformerinnen von „zh v yu“ sich so mit ihrem Bühnenbild gemein. Das nämlich besteht fast ausschließlich aus jenen Wesen von der weniger bewegungsfreudigen Sorte und wirkt wie das Innere eines Gewächshauses. Nach einer Abfolge der Imitation werden die Bewegungen menschlicher und klarer, das Stück nimmt Fahrt auf, wird aber keineswegs leichter greifbar.

Denn dann möchte man meinen, die Sünde sei in den Garten Eden eingebrochen und die überall verstreut auf dem Boden stehenden Topfpflanzen seien die einzigen Zeugen. Dann nämlich bekommt der Tanz eine eindeutig sexuelle Note. Doch schnell wird deutlich, dass es hier nichts Erotisches zu sehen gibt. Es wird unangenehm, drei jungen Frauen in spärlicher Bekleidung zuzusehen. Auf das Publikum soll Druck ausgeübt werden, die eigenen Sehgewohnheiten zu hinterfragen. Schauen wir auf Frauen in intimen Situationen genauso wie auf Pflanzen in einer botanischen Ausstellung oder etwa einem Büroflur, als wären sie Gegenstände? Wie kann überhaupt etwas, das lebendig ist, als ein Objekt betrachtet werden? Für den Perspektivwechsel ist allerdings wenig Zeit, denn spätestens wenn die Bewegungen der Tänzerinnen einen spöttischen Ton annehmen, verpufft der Effekt wenig nachhaltig.

Die Zuschauer sitzen im Kreis um die Performance, werden aber zu wenig einbezogen. Dafür sind die ins Publikum geworfenen Blicke nicht provokant genug. Es fehlt an Aufforderungen, Einladungen und Anklage. Einige geraten ins Kichern. Das Entsexualisieren der Bewegungen, vielmehr ihre Technisierung ist der Anspruch. Diesem aber wird das Stück nicht gerecht, weil nicht klar ist, dass die Zusehenden die eigentliche Leistung vollbringen sollen. Es folgen einige schöne Metaphern. Mit einem Beinkleid vor den Augen ist man blind. Wessen Gehirn also in der Hose steckt, der kommt nicht weit. Zwei Menschen, die zusammen in einer Hose gehen wollen, fallen um oder können sich nur im Gleichschritt fortbewegen. Am Ende wird in gemeinsamen Abfolgen dargestellt, dass alle Himmelsrichtungen offenstehen, wenn alle Menschen im selben Boot sitzen. Es bleibt zu hoffen, dass man es sich mit dieser Sichtweise als Zuschauer nicht doch zu einfach macht.

Wenn man wie der Kritiker durch die cis-männliche Brille geschaut hat, wartet stets ein polierter Holzweg beim Verständnis des halbstündigen Stückes. Allein, dass es das Publikum nicht mit mehr Nachdruck zum Kampf mit den eigenen Ansichten gefordert hat, wird es sich vorwerfen lassen müssen.
Martin Siegmund / Fotos: Samra Sabanovich

weitere Vorstellung im Rahmen des Karussell-Festivals am 25.1.2020 um 18.30 Uhr im Festspielhaus Hellerau



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