Ode an die Vielfalt – »Babel (Words)« zelebriert in Hellerau tänzerisch die Macken und Unterschiede menschlicher Individualität
21. Januar 2017 – Das letzte Jahr war kein gutes. Vielleicht markiert es sogar einen Wendepunkt im liberal-demokratischen Denken einiger. So zumindest sprach Dieter Jaenicke, Intendant des Festspielhauses Hellerau, anlässlich der Jahres-Eröffnung des Festspielhauses. So ernst und mahnend seine Worte, so erfrischend menschlich und begeistert feiert der flämisch-marokkanische Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui gerade die bunten Seiten des Menschen. Gemeinsam mit dem Tänzer Damien Jalet hat er für sein Ensemble ein wildes Fest entworfen, das von der Unterschiedlichkeit der Kulturen, Nationen und, wie der Titel vermuten lässt, Sprachen lebt.
Da stakst eine Tänzerin auf Keilabsätzen in engen Lackhosen umher wie ein Roboter und berichtet davon, wie ursprünglich, noch vor der Lautsprache, alles mit Gesten begonnen hatte. Das Öffnen der Handfläche, so verrät sie, bedeutete irgendwann mal »Vergib mir!«. Diese Aussage ist in gewisser Hinsicht zentral für diese Arbeit. Vergeben, dass niemand perfekt ist. Und anders sind wir ja ohnehin alle. Also, was soll’s. Leben wir also das, was wir sind.
Fünf Musiker begleiten die Tänzer mit Percussions, dass die Stühle im Saal vibrieren. Dazu Gesang, der aus allen Ecken der Welt zu kommen scheint, und fertig ist das, was man gern so leichtfällig »Weltmusik« nennt. Hier kann der Begriff nicht passender sein.
Antony Gormley lässt die Tänzer in einem Bühnenbild aus unterschiedlich großen Metall-Quadern agieren. Diese Rahmen lassen sich drehen, umkippen, aufstellen und immer wieder zu neuen Bildern ineinander verschieben. Das ist nicht nur der Turmbau zu Babel. Das ist auch ein Haus in seiner Urfunktion, ein Heim. Und darin spielt sich so einiges ab. Wenn das Haus zum Flughafenterminal wird, in dem die Passagiere kontrolliert werden, sorgt nicht nur die sprachliche Ebene für Witz. Diese beiden Aspekte, Sprache in allen Variationen und nicht minder überraschender Humor tragen diese hervorragende Arbeit über gute 100 Minuten, ohne dass auch nur eine einzige Länge entstünde. Die Tänzer agieren dabei völlig uneitel, scheinbar ganz ohne Kunst im Fokus, was sie zu einer Einheit werden lässt. Trotz der Vielzahl der Nationen. Oder eben gerade deswegen. Ein Streit darum, welche Sprache denn nun die beste wäre, bleibt deshalb auch ohne Ergebnis. Aber das überrascht nicht.
In einem Crashkurs in Sachen Neurowissenschaften erfährt der Zuschauer, dass es nur unsere Haut ist, die uns voneinander trennt. Aber auch, wenn wir diese nicht ablegen können, haben wir unzählige Möglichkeiten des Miteinanders. Sicherlich, Sprache ist Kodifizierung: Verstehe ich sie, bin ich drin. Wenn nicht, bin ich raus. So oder so birgt jedes Miteinander Konflikte. Das zeigen die formschönen Prügeleien ebenso wie eine kriegsähnliche Szene, die aus einem Transformers-Film stammen könnte. Action speaks louder than words. Zumindest manchmal. Sprache löst eben nicht alles. Und so viele Wörter gehen verloren. Aber auch Missverständnis ist etwas völlig Natürliches. Auch diese Lektion darf das Publikum mit nach Hause nehmen.
Rico Stehfest / Fotos: Koen Broos
nächste Vorstellung: 21. Januar 2017, Festspielhaus Hellerau, 20 Uhr.
|
|
|