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Obduktion eines Schlächters: »Der Totmacher« im Societaetstheater
Man nehme Kaffee, Sahne, Süßstoff, ein Fläschchen Feigenschnaps, Zucker und Aspirin. Fertig ist der Drink für Massenmörder. Arme, Beine, Finger und Gehirn bilden ein Anatomiepuzzle. Man lausche einem Protokollanten, einen Psychiater und einen Befragten. Fertig ist das Schlachterlied über die Leckereien des menschlichen Fleisches. Auf das Motiv des Aufspaltens und Zerlegens, Sezierens und Zerhackens wird in »Der Totmacher« in mehrfacher Weise Bezug genommen. Tom Quaas spielt den Mörder Fritz Haarmann, dessen Zurechnungsfähigkeit während eines Aufenthaltes bei einem Psychiater – ebenfalls von Tom Quaas gespielt – begutachtet werden soll. Haarmann wurde angeklagt zwei Dutzend junge Männer in Liebesekstase getötet und im Anschluss zerstückelt zu haben. Seine Hinrichtung steht unmittelbar bevor. Die Verhöre, die der Psychiater mit Haarmann führt, werden von einem Stenographen, Tom Quaas‘ dritter Rolle, aufgeschrieben.
Das Einpersonenstück, bei dem Tom Quaas fulminant alle drei Akteure darstellt, lebt von den sprunghaften Wechseln der verschiedenen Persönlichkeiten. Zum einen fokussiert der naive, offensichtlich geisteskranke Haarmann, der das Publikum in Erstaunen versetzt, während er ungehemmt und arglos von seinen Morden berichtet. Man könnte nahezu Mitleid für den Irren empfinden, der sich keiner Schuld bewusst ist. Wäre da nicht dieses debile Grinsen, des im ersten Moment harmlos und begriffsstutzig erscheinenden Mannes, das das Entsetzen über seine Taten nicht vergessen lässt. Dem gegenüber steht der kultivierte und besonnene Psychiater, der mit ruhiger Stimme anfangs noch Herr seiner Sinne ist und die Befragung seines Patienten objektiv durchführt. Diese Rationalität verliert sich im Laufe des Stücks, die Fassungslosigkeit ergreift Besitz von ihm und sein Urteil über den Angeklagten fällt letztlich aufgrund der persönlichen Bestürzung.
Meist sind alle drei Personen gleichzeitig zu sehen. Durch eine Videoleinwand werden abwechselnd Psychiater und Mörder in Lebensgröße eingeblendet, die dann im Dialog miteinander stehen. Das Interieur des Raumes sowie die Lichtregie erwecken den Eindruck einer Psychiatrie: die sterile und fahle Atmosphäre des Verhörzimmers wird erst durch die unfassbare Persönlichkeitsstudie belebt und lässt so manchen Zuschauer im Publikum mit einem schockierten Kopfschütteln zurück. Carolin Herrig/ Fotos: Detlef Ulbrich

Nächste Vorstellung: 26.5. & 2.6.2013



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