Mit dem Herzen in der Hand – L-E-V / Sharon Eyal & Gai Behar berücken mit ihrer Performance »Love Chapter 2« in Hellerau

09. Februar 2019 – Der Name der Company, L-E-V, steht im Hebräischen für »Herz«. So gesehen geht der Titel der Arbeit von Sharon Eyal und Gai Behar damit eine konsequente Einheit ein. In Hellerau ist das Ensemble von sechs auf fünf Tänzer geschrumpft, was der Stärke des Ausdrucks aber keinen Abbruch tut. Offiziell heißt es, das Stück widme sich dem Leben nach der Liebe, dem gebrochenen Herzen, dem Verlust und dem damit verbundenen Schmerz, dem Kampf und der gefühlten Aussichtslosigkeit. Vor dem Hintergrund dieser Informationen mag man meinen, die Gesten, das Miteinander der Tänzer sei einfach und unkompliziert zu lesen.


Im Grund ist dem so. Was die Choreografie hier aber bietet, ist deutlich komplexer. Die nahezu identischen Kostüme der Tänzer zeigen keine Grenzen zwischen den Geschlechtern, alle stecken in schwarzen Strümpfen. Diese grundlegende Vereinheitlichung ermöglicht geschlossene Ensembleszenen, in denen die geballte Muskelkraft der Körper fast zu einer Einheit zu verschmelzen scheint. Immer wieder kommt es zum Wechselspiel zwischen ebensolchen Momenten in der Gruppe und dem Bemühen des Individuums, einen Weg für sich zu finden.


Was wie ein leichtes Tick-Tack einer Uhr beginnt, wenn sich die schwarzen Schemen der Tänzer vor dem hellem Hintergrund abzeichnen, ist der Auftakt für eine sich beständig steigernde Herzfrequenz. Die live eingespielte Musik des DJs Orik Lichtik gibt diesen Puls vor, den Herzschlag, nach dessen Takt sich alles Geschehen auf der Bühne richtet. Das ist eigenwillig, das ist teilweise entrückt. Zu Beginn verlaufen alle Bewegungen der Tänzer derart langsam, dass es fast scheint, als würden sie posieren. Alles ist gleich, aber alles ist anders. Die Raffinesse liegt im Ansatz des »same same but different«: Das ist keine Zeitlupe; trotzdem entstehen immer wieder tableau vivants, beredte Bilder des Inneren. Ist das Tanztheater? Bevor man sich diese Frage beantworten kann, scheint alles ins Ballett umzukippen. Der innere Kampf, der hier so sichtbar nachvollzogen werden kann, steigert sich immer wieder bis zur Gefahr von Krämpfen, so viel Widerspruch scheint in den Tänzern zu stecken.


Die Beats, dieses Schlagen eines Herzens, werden im Lauf des Stücks immer schneller, was aber keine Hektik verursacht. Diese wortlose Beredsamkeit der Tänzer bleibt gemächlich. Und alles spielt sich gefühlt in einer einzigen Lichtstimmung ab, mit nur wenigen Momenten des Wandels. Auch technisch kann man nicht von großem Variantenreichtum sprechen, was aber keineswegs eine Aussage über deren Qualität darstellt. Genau deshalb erscheint die faszinierende Wirkung dieser Arbeit desto erstaunlicher. In dieser einen Stunde gibt es keine einzige langweilige Minute.


Das ist über die Maßen schweißtreibend. Von einem Nachlassen von Körperspannung ist aber bis zur letzten Sekunde bei keinem der Tänzer auch nur ein Anflug zu bemerken. Diese Stärke ist es ganz besonders, die das Hellerauer Publikum im Wortsinn gefesselt hat. Selten erlebt man ein derart konzentriertes Publikum. Es schien, als würden die Zuschauer den Atem anhalten.


Irgendwann, nach einer Stunde, schließt sich plötzlich ohne Vorwarnung lautlos der Vorhang. Die Tänzer aber agieren einfach weiter. So, wie das Leben wohl immer weiter gehen wird. Ein Ende wird das nie haben.

Rico Stehfest / Fotos: André le Corre

nächste Vorstellung: 9. Februar, Festspielhaus Hellerau, 20 Uhr.



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