Marionette ohne Spieler – Die Performance »Rapid Cycling« zeigt in Hellerau die Herausforderungen bipolarer Störung
8. Dezember 2019 – »Das bildest Du Dir nur ein«. Der Untertitel der neuen Arbeit der JuWie Dance Company im Festspielhaus Hellerau bringt die bekannte Alltagsproblematik im Umgang mit psychischen Erkrankungen auf den Punkt. Die Sache ernst nehmen? Ach was, hab Dich nicht so. In der Regel liegt hinter solchen Bemerkungen gar nicht mal Ignoranz. Der Versuch einer Aufmunterung ist nicht selten auch Ausdruck einer generellen Hilflosigkeit des Gegenübers angesichts einer psychologischen Konstellation, die sich nicht so ohne weiteres einordnen lässt.
Wie soll man das auch verstehen, wenn jemand laut und lebhaft durchs Leben hetzt und urplötzlich auf unbestimmte Zeit von der Bildfläche verschwindet, kein Anruf, keine E-Mail, nix. Wir haben ja alle unsere Tiefpunkte. Nur, wie tief muss so ein Punkt liegen, um als pathologisch eingestuft zu werden? Ohne professionelle Hilfe gestalten sich psychologische Herausforderungen in der Regel als Abwärtsspirale. So ganz allein, gefangen im eigenen Kopf, kriegt man sich nicht an den Haaren aus dem Sumpf gezogen.
Genau so gefangen erscheint Jule Oeft in ihrer Performance. Ein senkrechter Quader auf der Bühne, auf dessen Oberfläche wird ein Video projiziert, das eine merkwürdige Performance in einem weißen, fast wie ein neuronales Netzwerk wirkenden Gebilde zeigt. Da weiß der Zuschauer noch nicht, dass Jule Oeft genau in diesem Quader hockt, abgegrenzt, allein gelassen.
Natürlich findet sie den Weg raus aus dieser Enge. Aber wie das eben so ist. Mal so, mal so. Verlässt sie den Quader durch die linke Tür schafft sie kaum mehr den aufrechten Gang. Tänzelt sie von rechts heraus, gibt sie die Rampensau, das nimmermüde Party-Girl auf Speed. Nur, was sich dazwischen abspielt, in der Mitte, in dem Quader, bleibt ihr Geheimnis, das hier natürlich keins ist.
Besonders auffällig an dieser Arbeit ist, wie die Videos (Beate Oxenfart) und die, man darf sagen, gewohnt fancy Sounds von Daniel Williams in Verbindung stehen mit der tänzerischen Ausdrucksform. Die Videos zeigen abgedrehte Kostüme, die man sich fast auf der Bühne, in live, gewünscht hätte, so aufwendig fällt deren Design aus. Aber genau das geht ja eben nicht: Diese überbordende Kreativität muss medial entrückt bleiben, als Analogieebene zur psychologischen Entrücktheit: Larger than life sind die Dinge eben nur im Kopf. Das trifft auch auf das akustische Gefrickel von Daniel Williams zu. Die hemmungslose, geradezu süffisante Weise, in der er Britney Spears‘ »Oops, I did it again« zerhackschnitzelt und neu versampelt klingt wie ein blinkender Jahrmarkt mit mehr als nur einem Kurzschluss in der Leitung.
Neben dieser Überlebensgröße schrumpft Jule Oeft zu einem hilflosen Bündel zusammen, einer Marionette ohne Spieler. Sie macht, was ihr Kopf ihr befiehlt. Bis es nicht mehr geht. Das bedeutet, dass ihr Bewegungsvokabular in seiner Bedeutung hinter das eigentliche Konzept zurück weicht. Nicht das, was sich auf der Bühne abspielt, ist das, worum es geht. Es ist vielmehr das, was der Kopf sagt und der Körper tun soll. Oder eben nicht.
Die Performance wird von einer kleinen Ausstellung im westlichen Foyer gerahmt, in der grundlegende Informationen zur Entstehung, Symptomatik und Behandlung bipolarer Störungen angeboten werden. In einer »Shitshow« der Agentur für psychische Gesundheit lassen sich Moodsuits anprobieren, schwere, unhandliche Gegenstände, die, am Körper getragen, verschiedene Stimmungsbilder Betroffener vermitteln sollen. Es hat dabei viel Schönes, diese schwarzen Dinger einfach so ohne Weiteres wieder ablegen zu können.
Rico Stehfest / Fotos: André Wirsig
nächste Vorstellung: 9. Dezember 2019
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