Leben im visuellen Chaos oder leben lassen in blinder Ordnung? »Die Gesellschaft der Blinden«
feierte am 17. April 2015 seine Premiere auf der bühne, dem Theater der TU. Die Augen sind der Spiegel der Seele, so sagt man. Doch was passiert, wenn die Augen nur noch von Dunkelheit beherrscht werden und eine Brille, die sonst das Sehvermögen stärkt, nur noch als Symbol der Blindheit gilt?

Dem Zuschauer wird ein Szenario geboten, das unvorstellbar erscheint: Die ganze Welt erblindet. Mit der Dunkelheit geht Unsicherheit und Schutzlosigkeit einher, deshalb wird schnell versucht »durch Gehorsam und Einheit«, wieder eine geregelte Ordnung aufzubauen. Um sich in dieser neuen Welt, der Gesellschaft der Blinden, zurechtzufinden, werden Menschen in einem sogenannten »Lebens-Gemeinschafts-Zusammenschluss« zusammengeführt, so auch Isi, Eve, Thanao und Adam. Um ihr blindes Leben zu meistern, erhalten sie zusätzlich die namenlose Hilfestellerin. Durch ein Radio spricht die Kanzlerin täglich bestimmende Worte zur aktuellen Lage an die Bevölkerung. Die blinde Ordnung breitet sich aus und plötzlich scheint durch die Erblindung mehr genommen zu sein, als bloß das Augenlicht. Statt Selbstständigkeit herrscht nur noch strenge Kontrolle und Ordnung. Doch es gibt auch Kritiker am System, so wie der junge Adam (Alexander Bretschneider), der kein Blatt vor dem Mund nimmt und ständig Wiederstand leisten will. In dem Moment, als er schließlich selbst im System zu versinken droht, passiert es: Er kann wieder sehen. Mit seinem wiedergewonnenen Augenlicht versucht er die anderen aus dem Sumpf der blinden Ordnung wieder herauszuholen. Doch was ist, wenn sie gar nicht mehr hinaus wollen? Adam gerät nicht nur in einen Konflikt mit dem System und der Blindheit, sondern in einen Konflikt mit sich selbst und mit all dem, an das er vorher glaubte.

Unter der Regie von Florian Gleißner und der Assistenz von Lisa Laser, gelingt es vor allem auch durch die Technik ein grandioses Bild der Blindheit zu inszenieren. Mit einer unerwarteten, temporären Aufteilung der Audiovisualität, wird das Publikum mit der Blindheit im Stück direkt konfrontiert. Ähnlich wie für die erblindeten Bewohner, ist auch für den Zuschauer nicht immer das Gesamtbild zuerkennen. Manchmal wird man so sehr von der Dunkelheit umhüllt, dass man sich selbst fast blind fühlt und dafür die anderen Sinne schärfen muss. Zwischen hell und dunkel, mal sehend, mal blind, wird ein abwechslungsreiches Bild, teils auch mit musikalischer Untermauerung und teils mit projizierten Video an der Wand geboten.

Das aufgegriffene Thema der Blindheit wird auch eine Art und Weise umgesetzt, die dem Zuschauer trotz aller Dunkelheit die Augen öffnet. Die Inszenierung zeigt, dass die Blindheit mehr nimmt, als nur das Offensichtliche. Das ganze Leben beschränkt sich plötzlich nur noch auf das Nötigste, was man zum Überleben braucht: Nahrung, Schlaf, hygienische Versorgung. Jeder hat irgendeine Funktion in diesem System der blinden Ordnung. Das System fängt an, nicht nur das Leben, sondern den Menschen selbst zu verändern. Es herrscht eine Ambivalenz zu einem faschistischen System. Doch das Stück zeigt noch mehr als das. Es wird ein sehr aktuelles Thema unserer heutigen Zeit behandelt. Man hinterfragt die eigene Ordnung, in der man lebt. Auf was soll man sich verlassen? Auf was kann man sich verlassen? Auf das was man sieht oder auf das was man hört? Oder auf das was man glaubt? Ein Stück, das trotz aller Blindheit, mehr als nur sehenswert ist.
Lisa-Marie Laux

Nächste Vorstellungen: 18./19.4. , 1./2.5.2015; die bühne – Das Theater der TU.



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