Kraftakt oder Akt der Gewalt? - »Vortex« als ein kleines, aber gewaltiges Teil der Cynetart

18. Oktober 2020 – Es war eine so unerwartete wie erfrischende Zusammenarbeit: Der Soundfrickler Ulf Langheinrich und die junge Choreografin Maria Chiara de’Nobili haben gemeinsam mit »Vortex« in Hellerau eine Arbeit gezeigt, die, so die offizielle Formulierung, »beyond dance, beyond body, beyond image« angesiedelt ist. Und das ist tatsächlich keine Untertreibung. Ab 16 Jahre war der Zutritt gestattet, man warnte vor verstörenden Bildern und extremem Sound. Auch das waren sinnvolle Anmerkungen, wie sich von der ersten Sekunde an gezeigt hat.


Die etwa einstündige Arbeit bombardierte den Zuschauer von der ersten bis zur letzten Sekunde mit blitzenden Lichteffekten variabler Intensität, bis hin zum Stroboskop-Geflacker. Für zarte Gemüter eine Zumutung. Aber das war ja eben bereits vorher klar.


Was man sah, wenn man vorsichtig zwischen den Fingern hindurch spähte, waren vier vertikale Wände, die als Lichtquellen fungierten und vor denen vier Performerinnen schemenhaft auszumachen waren. Alle vier trugen die gleiche blonde Kurzhaarperücke, alle nur in Unterwäsche. Auswechselbare, beliebige Objekte, die im gnadenlosen Licht zuckten, wie unter Strom. Das machte diesen Blick automatisch zu einem männlichen, zu einem Gestus der Benutzung, einem gewaltvollen Aussetzen dieser Objekte, in völliger Willkür. Trotzdem bot dieser Frontalangriff gleichzeitig einen emanzipatorischen Gestus, eine eigene Stärke der Figuren vor der Wand. Es war ein Kippbild zwischen Kraftakt und Akt der Gewalt, ein Kampf zwischen Übergriffigkeit und Selbstbehauptung.


Dieser Ansatz wurde im zweiten Teil fortgeschrieben, der eine 3D-Projektion des Kopfes einer liegenden Frau zeigte. Damit hatte Langheinrich bereits in der Vergangenheit in »Full Zero« experimentiert. Was bedingt durch die stark verlangsamten Bewegungen in Zeitlupe zunächst wie Ausdruck ekstatischer Freude, dann aber wie enormer Schmerz erschien, wich nach einiger Zeit der Gewissheit, die Performerin sei während des Geschlechtsaktes gefilmt worden. Wo also genau sich ihre Emotionen bewegten, blieb in jeder Sekunde aufs Neue eine Frage der Interpretation.


Durch die enorme Größe der Projektion über die gesamte Breite der Rückwand und die starke Unmittelbarkeit des 3D-Effektes wurde der Zuschauer, nolens volens, zum weiteren Mal in die Rolle des Voyeurs gezwungen. Der triebwerkhafte Sound, der über längere Strecken immer wieder die Zuschauerränge vibrieren ließ, war dabei keine bloße Untermalung der Szene, sondern stand, so wie zuvor auch in der choreografierten Szene, hier gleichwertig als eigenständiges Element. Das wurde im letzten Teil, der nur noch farbige Lichteffekte zeigte, besonders deutlich. Bedrohlich stieg der akustische Druck immer weiter an, bis hin zu einem Höhepunkt, nach dessen Umkippen nicht nur deutlich wurde, dass »es« ausgestanden war, sondern dass das Eigentliche dieser Arbeit nicht auf der Bühne, sondern im Kopf stattgefunden hat. Schlichtweg grandios.

Rico Stehfest / Fotos: Ulf Langheinrich, PR Cynetart




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