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Kino in der Kreuzkirche
Am hinteren Ende des Kirchenschiffes steht sie. Weit aufgespannt, schwarz angestrahlt. Die Wörter »Jesus of Nazareth« sind in weißen Lettern darauf zu lesen. Am anderen Ende des Kirchenraumes hängt ein schwerer Beamer. Von einem Altar, geschweige denn von einem Kruzifix ist nichts zu sehen. Wüsste man nicht, was hier am 30. Oktober 2013 in der Dresdner Kreuzkirche vor sich geht, dann könnte man die Szenerie entweder für eine Kunstinstallation oder einen Kinosaal der besonderen Art halten. Im Rahmen des 8. Dresdner Orgelzyklus wurde am Mittwoch in der Kreuzkirche der Stummfilm »From the manger to the cross« gezeigt – unterlegt mit Orgelmusik.

Zugegeben, die Idee der Umsetzung ist nicht neu. Live begleitete Stummfilme haben beispielsweise im Kino in der Fabrik Tradition. Dennoch ist die Atmosphäre in der hohen, ehernen Kirche eine ganz andere. Pünktlich zum Filmbeginn ist es im Gotteshaus stockdunkel; die Leinwand spendet das einzige Licht. Blickt man auf die Köpfe der Menschen, erweckt es den Anschein, man säße wirklich in einem Kino. Doch mit dem Einsetzen der Orgel wird klar: Dies hier ist kein Lichtspieltheater, dies ist eine heilige Stätte, ein Ort der Ruhe und Demut. In der Kombination von Dunkelheit und Musik wirkt der Kirchenbau noch ehrwürdiger.

»From the manger to the cross« erzählt das Leben Jesu nach, sprichwörtlich von der Wiege bis zu seinem Tod am Kreuz. Der 1912 von Sidney Olcott gedrehte Stummfilm gilt als der erste seiner Art über Jesus Christus. Die einzelnen Bilder wurden synchron mit Orgelmusik begleitet. Dass mit Jelanie Eddington ein Profi an den Tasten sitzt, wird bereits nach wenigen Minuten deutlich. Blitzschnell werden die Register gezogen, die Klangfarben gewechselt, die Pedale virtuos bedient. Wiederkehrende Leitmotive erleichtern den Zuschauern, den Figuren im Film zu folgen, denn auf den eingeblendeten Texttafeln waren ausnahmslos englische Bibelverse zu lesen.
Eddington drängte sich den Zuhörern nicht auf – trotz neunzig Minuten durchgehenden Orgelspiels. Er musiziert so intensiv und emotional, dass Ton und Film zu einer perfekten Kombination verschmelzen. Dass selbst Kinder die ganze Zeit über gefesselt auf die Leinwand schauen und sich gar ein Besucher die feuchten Augen wischt, zeugt von dem Ausdruck seiner Darbietung. Kino und Kirche – das muss sich nicht ausschließen. Annette Thoma




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