Kalter Tod - »Romeo und Julia« des Semperoperballetts
Geliebt und gestorben wird hier in einem grauen, unterkühlten Raum (Bühne und Licht: Jan Versweyveld), der in seiner Reduktion jede noch so kleine Emotion desto stärker sichtbar werden lässt. Und davon gibt es hier bekanntlich allerhand. Diese abweisende Nüchternheit des Bildes ist von Catherine Voeffray in den Kostümen konsequent weitergeführt worden. Von Farben kann da kaum die Rede sein. Allein Gräfin Capulet (Elena Vostrotina) darf sich in einem pinkfarbenen Kleid farbliche und charakterliche Extravaganz erlauben. Sie ist es, die stellenweise furienartige Dominanz an den Tag legt. Alle anderen Damen des Capulet-Clans sind identische Jackie Kennedy-Kopien, die in ihren Etuikleidern und ihrem geradezu persönlichkeitslosem Auftritt stark an die Roboter-Gattinnen aus dem Film »The Stepford Wives« erinnern. Diese Frauen sind ganz klar die Objekte ihrer Männer. Trotzdem werden subtil Geschlechterrollen befragt. So geklont sie auch wirken, stecken unter der Oberfläche doch Hyänen, die gemeinsam eine stärkere Phalanx als ihre Partner bilden. Hier führt Celis weiter, was er bereits mit der bösen Stiefmutter in der »Cinderella« angedeutet hat. Seine Frauen sind keine reinen Opfer.

Wenig originell fällt aber die Charakterisierung der Familienclans aus. Die Montagues sind wie immer die Coolen, die Lässigen, die unterm Strich Sympathischen. Ihre Formensprache zitiert immer wieder Ansätze der Ballett-Tradition, ermöglicht ihnen aber gleichzeitig einen teenagerhaft unbekümmerten Gossenjargon mit allerlei neckischem Posieren. Die verfeindete Seite der Capulet-Männer liefert wie gewohnt das schmierige Zuhalter-Klischee. Am einfachsten hat es dabei natürlich Tybalt (Fabien Voranger) als eiskalter Macho. Er schickt den von allen so geliebten Mercutio (Jón Vallejo) in den Tod und löst damit eine Szene aus, die bis an den Rand der Erträglichkeit retardiert wird. Keine Frage, dass Vallejo auch hier wieder umjubelt wird.

Bei einzelnen Rollen scheinen aber doch kleine Besonderheiten durch. Julias Amme (Ana Presta) trippelt das gesamte Stück hindurch innerlich völlig zerrissen über die Bühne. Ihre Körpersprache ist dabei in jedem Moment eine gekonnte Mischung aus stärkstem Entscheidungswillen und borenden Zweifeln. Sie ist verstört, unruhig, ohne Orientierung. Damit fällt sie in der gesamten Figurenzeichnung genau so auf wie Pater Lorenzo (Pavel Moskvito), der mit gummiähnlichen Beinen wankt, wie es diesem geistlichen Würdenträger überhaupt nicht zu Gesicht steht.

Stijn Celis setzt in seiner Choreographie auf Bilder und deren Wirkungen, die nicht immer aufgehen. Gleich zu Beginn trägt Julias Vater (Oleg Klymyk) überaus wirkungsvoll ihre Leiche auf dem Arm. Eine solche Vorwegnahme des Endes ist nicht neu, bleibt hier aber ohne dramaturgischen Wert. Trotzdem trägt das Ensemble diese Bildsprache völlig überzeugend. Und zwar so überzeugend, dass Romeo (Jiří Bubeníček) und Julia (Julia Weiss) vor diesem Hintergrund fast nicht aufscheinen können. Dass Bubeníček tänzerisch brilliert, bedarf keiner Erwähnung. Er ist das Aushängeschild des Ensembles. Dramaturgisch verblasst seine Figur aber neben der von Mercutio. Julia, ganz in Weiß, gibt sich hemdsärmelig und zeigt, pardon, ihren Schlüpfer. Diese Form der Charakterisierung bleibt bis zum Schluss unergründlich, denn eine Emanze ist diese Julia ganz und gar nicht. Vielmehr lässt sie sich ihrem zukünftigen Gatten Graf Paris (Milán Madar) vorführen wie ein Pferd auf dem Markt. So überzeugend Romeo und Julia hier auch gezeichnet sind, wirklich interessant sind die Figuren um sie herum. Sie machen die Kälte zwischen den verfeindeten Familien greifbar. Konsequent im Sinn dieser unterkühlten Atmosphäre senkt sich am Ende ohne großes Tamtam der eiserne Vorhang über das tote Liebespaar. Rico Stehfest

Nächste Vorstellungen: 22./23./26./29./31.3.2013



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