Jahresringe, Augenringe – Magdalena Weniger lotet in Hellerau entspannt die Analogien zwischen Mensch und Pflanze aus
15.10.2021 – Also, schön ist sie schon, vor allem, wenn sie blüht. Die Schaumblüte gehört zu den Stauden, denen man gern mal Attribute wie »dankbar« oder »bescheiden« anpappt. Und da liegt er schon, der Hase im Pfeffer: Pflanzen mit humanen Eigenschaften. Lebewesen sind wir alle, klar. Magdalena Weniger klappt deshalb mit ihrer Performance »Tiarella Hybrid« im Festspielhaus Hellerau mögliche Analogien auf, stellt die Frage, wo Mensch und Pflanze nicht nur vergleichbar sind, sondern schlichtweg gleich. Das zelebriert sie in einem Setting, das als verdrehte Garten-Assoziation entzückend organisch Arm in Arm mit den gewohnt farbenfroh-schrägen Kostümen von Bettina Kletzsch daherkommt. Ein angedeutetes Gewächshaus, ein Sonnenschirm, ganz zentral platziert ein dicker Sack Blumenerde. Die Dinge sind aber nicht das, was sie eigentlich sind. Der Straßenbesen hat Borsten, die länger sind als Rapunzels Haare. Zumindest sieht es so aus. Das Blatt der Schaufel sitzt irgendwo am Stiel.
Dieser Garten ist von vorn bis hinten ein subjektiver. Andererseits sollte man es so formulieren: Ein jeder Garten ist Ausdruck einer Persönlichkeit, nämlich einer menschlichen. Und das macht Magdalena Weniger mit ihrer Performance von Anfang an klar. Jari van Gohl dreht am Lautstärke-Regler und hängt über diesen schrägen Garten bukolisch anmutendes Vogelgezwitscher. Ach, wie friedlich. In diese Idylle rutscht die Performerin auf Knien, die Hände gefaltet, und schmettert ein mitreißendes Gebet in den Raum. Klar, die Sängerin Magdalena Weniger kommt immer zum Zug. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Nur wesentlich erbaulicher.
Was sie dann im Verlauf einer Stunde aufblättert, ist ein Entblättern. Unter Einsatz von viel Text erfährt der geneigte Zuschauer wie -hörer allerlei Privatimes aus ihrem Leben, ihrer Herkunft, ihrem Werden, Wachsen und Sein. Dabei erklettert sie eine Sprossenwand wesentlich schneller als jede Rankpflanze. Da geht es um ihr Verhältnis zur ihrer Mutter. Ein Tier sei diese, heißt es. Das aber ist auch nur eine Grätsche zwischen Pflanze und Mensch. Gattung, Familie. Begriffe, die im jeweiligen Kontext komischerweise ganz anders klingen, obwohl sie das gleiche meinen. Der Blumensprüher wird zum überzogenen, quasi-religiösen »Reinwäscher«, und mittels Haarspangen könnte man, eigentlich, auch den Wuchs von Pflanzen regulieren. Einen schrundigen Laubbesen kann man tatsächlich so über den Boden kratzen lassen, dass die so entstehende Kakophonie sich in die Nähe von Musik bewegt.
Dieses Suchen und Finden der Parallelen zwischen Pflanze und Mensch, wie auch wechselseitiger Beeinflussung ist ein Kinderspiel. Ist deshalb alles so bunt und unschuldig geraten? Pathetik ist erlaubt, auch Verarbeitung lange rumgeschleppter psychologischer Gepäckstücke. Der Sack Erde gibt einen dankbaren Boxsack her, um Aggressionen abzubauen.
Trotzdem: »Ich gehör‘ hier nicht her.« Ein Neophyt sei sie, eine Pflanze, die eingewandert ist. Jari van Gohl gibt den smart ass und setzt mit dem Begriff der Pionierpflanze noch einen drauf. Birke, zum Beispiel. Ist immer als eine der ersten da, gefühlt überall. Noch dankbarer ist da als Metapher natürlich der Löwenzahn. Durch die Gegend gepustet, willkürlich, irgendwo gelandet. Genau deshalb schnipst Magdalena Weniger irgendwann orangefarbene Tischtennisbälle ziellos durch den Raum. Unmissverständlich. Unmissverständlich deshalb, weil diese Metaphern zumindest hier eben keine sind. Alles liegt auf der Hand, sozusagen. Das ist hübsch, eine Reflexion, die niemandem Angst machen muss. Diese Fragen nach dem Woher und Wohin, der Verwurzelung und damit nach dem Sein, sind damit komplett in Watte gepackt. Das ist aber keine Krux. Schließlich gibt es bei der Reflexion des eigenen Ichs keine Verpflichtung, jedes Mal die S-Bahn in die Hölle zu nehmen.
Rico Stehfest / Fotos: Stephan Floss
nächste Vorstellungen: 15. und 16. Oktober 2021, Festspielhaus Hellerau, jeweils 18 Uhr.
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