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Jack White am 4. Juli 2022 in der Verti Music Hall in Berlin.

Bei einem Jack-White-Konzert müssen Smartphones am Eingang in einer Tasche verstaut werden, die bis zum Ende des Konzerts verschlossen wird. Gut so. So kann sich die Menge auf das konzentrieren, was auf der Bühne passiert – und da passiert einiges. Haare blau, Gitarre blau, die Bühne in blauem Licht gehalten. War zu Zeiten der White Stripes noch Rot die dominierende Farbe, so hat sich der Meister für seine aktuelle Platte, Videos und Bühnenshow für einen kälteren Farbton entschieden. Seine Wirkung verfehlt das nicht. Jack White entführt sein Publikum in seine ganz eigene Welt. Ein Universum, in dem der Blues den Takt angibt und sich Gitarren vom Musikinstrument zum Zepter eines exzentrischen Zeremonienmeisters wandeln. Aber der Reihe nach.

Kurz vor dem Konzert stehe ich mit einem alten Bekannten beim Bier auf der Terrasse der Halle. „Wie frickelig wird es heute?“, ist die Hauptsorge, die uns kurz vor der Show umtreibt. Letztes Mal hatten wir beide es nur um die 50 Minuten vor der Bühne ausgehalten. Wird sich White auch heute wieder in endlose Soli verlieren und die Bedürfnisse seines Publikums erfolgreich ausblenden? Tinnitus statt Tanz? Circa 20 Minuten später sind wir schlauer. Klare Antwort: Nein.

Vom ersten Akkord an stellt White eindrucksvoll unter Beweis, dass er den Spagat vom verspielten Gitarrengott hin zum rockigen Entertainer allen Unkenrufen zum Trotz mühelos zu meistern vermag. Es scheint, als habe er verstanden, dass Virtuosität in seinem Fall nur dann positiv konnotiert wird, wenn sie das Publikum in guter alter Rock’n’Roll Manier in Bewegung versetzt. Und das tut sie.

Der Funke springt unisono über. „Awesome, Awesome, Awesome!“, schreit die Frau neben mir minutenlang ohne Pause. Extra angereist aus London, reckt sie ihr Bier schweppernd in die Höhe, während der linke Fuß im Takt stampft. Eine Szene, exemplarisch für die Publikumsreaktionen an diesem Abend. White und seine Musik werden abgefeiert, als ob es kein Morgen gibt. Klar, heißt die aktuelle Platte ja auch „Fear of the Dawn“ …

Unterstützt von einer dreiköpfigen Band aus Bassisten, Keyboarder und Drummer, präsentiert White Songs aus allen Phasen seines musikalischen Schaffens. Stücke der Soloplatten gehören genauso zum Set, wie Songs der White Stripes oder weiteren Projekten wie den Raconteurs. Der Klassiker „Catch Hell Blues“ steht an diesem Abend somit genauso auf der Setlist, wie die Smasher „Steady As She Goes“ oder „Sixteen Saltines“. Dabei erinnert das Dargebotene zu keinem Zeitpunkt an ein starr abgearbeitetes Programm. Vielmehr hat man das Gefühl, einer organisch improvisierten Session zwischen Leader und Band beizuwohnen, bei der vor allem Whites Interaktion mit Ausnahmeschlagzeuger Daru Jones eine magische Atmosphäre verbreitet. Die entsteht auch, wenn White zur mittig auf der Bühne aufgestellten Statue des kleinen Ukulelen-Manns geht, um ihm einen Song ins Ohr zu flüstern, der durch ein Megafon verstärkt ins Publikum übertragen wird. Eine dramaturgisch gelungene Spielerei.

Am Ende kommt, was kommen muss, da sind sich alle einig. Das Riff erklingt, die Menge tobt. „Seven Nation Army“ ist die Zugabe an diesem Abend. Ein würdiger Abschluss eines denkwürdigen Konzerts – oder wie es die Frau aus London kurz vor Schluss Richtung Bühne schreit: Jack White rules!

Beim Hinausgehen werden schließlich alle Handys aus den Taschen befreit. Auf keinem der Smartphones wird sich ein Bild oder Video des Konzerts finden. Eindrücke des Abends trägt das Publikum heute ganz oldschool im Herzen nach Hause. Chapeau!

M. Hufnagl / Foto: David James Swanson

Die Rezension zur aktuellen Platte aus der Maiausgabe des Dresdner Kulturmagazins kann man hier nachlesen: www.dresdner.nu/tontraeger/?revid=NR-6269519B-cdrev-271E



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