Im Tod: vereint? - temporäre theater berlin gastieren im projekttheater
Man kann sich dem Phänomen Liebe auch pathologisch nähern: »F63.9« ist laut WHO eine Krankheit namens, ja, Liebe. So genau muss man es aber nicht nehmen. Alexey Kononov nähert sich diesem »Problem« über Motive des Phädra-Mythos. Phädra, durch einen Zauber Aphrodites geblendet, verliebt sich ausgerechnet in den eigenen Stiefsohn Hippolytes. Unschöne Sache. Da dieser ihre Liebe zurückweist, tötet sie sich selbst, nicht, ohne eine Notiz zu hinterlassen, Hippolytes hätte sich ihr unzüchtig genähert. Das bringt ihm den zu erwarteten Ärger ein, und auch er endet im Tod, jedoch unfreiwillig. Auf der Flucht stürzt er von seinem Wagen und wird zu Tode geschleift.

Und das in Form eines Balletts? Funktioniert ganz wunderbar. Federico Politano trägt einen schwarzen Anzug, der an mehreren Stellen Löcher aufweist. Man könnte meinen, damit wäre bereits sein Tod vorweggenommen. Agnieszka Jachym, ebenfalls in Schwarz, gibt die emotional Überbordende. Ihr ärmelloses Kleid betont die auffällige Länge ihrer Arme, die sie so vergeblich nach Hippolytes ausstreckt. Immer wieder läuft sie gegen ihn, erfolglos, wie gegen eine Mauer. Bereits zu Beginn fällt sie zu Boden und zeichnet ihre eigene Silhouette mit schwarzem Edding nach. Tatort. Fast, als hätte sie ihren Tod von Anfang an geplant. Doch das wiederholte Lüpfen des Rockes nützt nichts. Selbst als sie ihren Schlüpfer auszieht, bleibt Hippolytes ohne Regung.
Um ihm die Schuld an ihrem eigenen Tod geben zu können, löst sie seinen Gürtel, schlingt ihn sich um den Hals und zieht ihn zu. Ihr darauf folgendes Grinsen ist geradezu diabolisch. Federico Politano beginnt, den Tanzboden in seine Einzelteile zu zerlegen. Alles kaputt, dysfunktional. Im Tod begegnen sie sich; Phädra umtanzt den leblosen Körper Hippolytes’. Sie zieht seinen Anzug an, doch es nützt nichts. Was Hippolytes zu Lebzeiten nicht gefühlt hat, entsteht auch nach seinem Tod nicht. Am Ende hört man nur noch anhaltendes Klopfen aus dem Dunkel. So ganz zu Ende ist die Sache zwischen Phädra und Hippolytes wohl immer noch nicht.
Alexey Konovov lenkt seine beiden Tänzer sicher durch eine funktionierende Dramaturgie. Nicht einmal eine ganze Stunde dauert es, bis diese tragische Geschichte vorbei ist. Mehr braucht es auch gar nicht. Kein Schnickschnack, keine breitgewalzten Gesten. Alles dran, alles drin. Überzeugend. Und wer mehr von Kononov sehen will: Die nächste Tanzwoche ist nicht mehr weit. Rico Stehfest/ Foto: Ivan Kap

Nächste Vorstellung: »F63.9« am 7. & 8.2.2014, jew. 20 Uhr im projekttheater



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