Im Theater wird nicht gepfiffen! – Miller de Nobili mit »Don’t you dare!« im Festspielhaus Hellerau


19. November 2022 – Die Sieben ist eine Glückszahl, für Maria Chiara de’Nobili und Alexander Miller auf jeden Fall. Sie haben in ihrer neuen Arbeit »Don’t you dare!« sieben Performerinnen und Performer auf die Bühne gepackt und ihnen sieben, verschieden geformte Holzkisten zum Spielen gegeben. Dazu noch sieben von der Decke hängende Rollos, und los kann der Spaß gehen. Aberglaube ist nämlich komplex: in der Kirche nicht Lila tragen oder im Haus keinen Schirm aufzuspannen sind da vielleicht noch in der Kategorie des Exotischeren einzuordnen. Das kann man sprachlich und natürlich bewegungstechnisch hübsch überspannen und albern verdrehen, bis deutlich wird, dass es für derartige Prämissen gar keine gesunde logische Grundlage gibt. Trotzdem.


Trotzdem nehmen Miller de Nobili und ihre Performer die Sache ernst. Denn am Grund zeigen sich irgendwann Unsicherheiten, individuelle Ängste und die Suche nach Orientierung, nach einem verlässlichen System. Genau diese Suche ist es, die in den Bewegungen liegt. Da brechen Power-Moves aus dem Breaking unvermittelt ins System, als wäre das Individuum eine Marionette, fremdgesteuert und ohne Kontrolle über das eigene Tun. Wer da sein Heil im Esoterischen sucht, findet durchaus Verständnis. Wir alle hätten gern einen geraden, übersichtlichen Weg vor uns.


Wie unterschiedlich jeder von uns mit dem eigenen Mindset umgeht, zeigt sich in den »Charakteren« auf der Bühne, eine Bezeichnung, die das Choreografen-Duo tatsächlich selbst verwendet. Dadurch lässt sich ergötzlich debattieren, wie viel der eigenen Persönlichkeit in den äußerst sensiblen Soli liegt. Da werden Verspannungen deutlich, Verdrehungen, die ins Groteske kippen. Breaking, Contemporay, Urban, diese ganzen Einflüsse sind hier auf beeindruckende Weise Mittel zum Zweck und geben jeder und jedem ein eigenes Gesicht. Die choreografische Handschrift ist äußerst lebhaft und dynamisch, aber ohne zu protzen. Es geht ganz deutlich nicht um die Geste an der Oberfläche, es geht um die Aussage. Da versteckt sich Giulia Russo in einer der Kisten und flüstert aus ihr heraus die alten Glaubenssätze; immer wieder werden einzelne Rollos herabgelassen, um sich dahinter zu verstecken. Die eigene Sichtbarmachung geht mit Verletzlichkeit einher und das in einer Welt, die ohne Gott auskommen muss. Das ist eine klare Parallele zu Aberglauben als Form eines Glaubens. Am Ende, so scheint es, ist aber Aberglaube nicht in der Lage, den gewünschten Halt zu geben. Orientierung muss Versuch bleiben. Genau so wie diese Bewegungssprache gefühlt irgendwie nicht aufgelöst werden kann.


Das ist ein Ansatz, mit dem Miller de Nobili bereits überregionale Aufmerksamkeit bekommen haben. Die diesjährige Tanzplattform in Berlin war dabei nur eins der Erfolgskapitel. Diese Handschrift ist so eigen, dass man kaum glauben mag, dass sie in Zusammenarbeit mit den Performerinnen und Performern entstanden ist. Der Wiedererkennungswert ist nämlich beachtlich.

Rico Stehfest / Fotos: Sebastian Weingart / wunderwaldphoto

nächste Vorstellung: Festspielhaus Hellerau, 19. November 2022, 20 Uhr.



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