Ilgen-Nur im Hole 44 in Berlin
22. November 2023. Draußen nieselt es, die Temperaturen sind mau, der Verkehr auf der Hermannstraße dicht. Trotzdem macht es Sinn, an diesem Berliner Herbstabend nochmal rauszugehen. Ilgen-Nur hat sich angekündigt. Auf ihrer »Purple Moon«-Tour macht die gefeierte Musikerin im Neuköllner Hole 44 halt. Ein Heimspiel, lebt die gebürtige Stuttgarterin doch schon länger an der Spree.
Jacke, Mütze und Schal an der Garderobe abgegeben, an der Bar ein Bier geholt, dauert es nicht lange, bis Saba Lou als Support die Bühne betritt. Ihres Zeichens Tochter des legendären Voodoo-Soulers King Khan, wurde sie als kleines Kind von Iggy Pop auf die Stirn geküsst, als der ihr den Rock’n’Roll-Segen erteilte. Jetzt schlägt Saba Lou leise Töne an, präsentiert die Stücke ihrer zwei Alben, reduziert mit Gesang, Akustikgitarre und minimalistischem Schlagzeugsound. Der Atmosphäre tut das keinen Abbruch, im Gegenteil: Entspannt, kraftvoll, harmonisch und berührend stimmt ihr Set in bester Singer/Songwriter-Manier stilecht auf diesen Abend ein.
Nach einer zügigen Umbaupause kommt kurz nach neun erst die Band und, nach einer kleinen Weile, Ilgen-Nur unter großem Applaus auf die Bühne. Mit gerade einmal zwei Alben im Gepäck eilt ihr der Ruf vertonter Coolness längst voraus. Ihre Crowd feiert sie hart. Die 2017 erschienene Platte »Power Nap« katapultiert sie mit ihrem zurückgelehntem Gitarrensound quasi über Nacht in die Herzen von Fans wie Kritikern. Der in diesem Oktober erschienene Nachfolger »It’s All Happening« zeigt eindrucksvoll eine Entwicklung hin zu mehr Tiefe. Zehn Songs im wohl ausgeloteten Spannungsfeld aus Licht und Schatten, Anmut und Abriss.
Heute nimmt Ilgen-Nur das Publikum mit auf eine Reise durch ihr bisheriges Œuvre. Dabei bestechen besonders Stücke der aktuellen Platte, Songs wie »Lookout Mountain«, »Dream Of Hell« oder »Purple Moon«. Allesamt Kompositionen, denen ein Vibe innewohnt, wie ihn die Musikerin im Zuge eines prägenden Aufenthalts in Los Angeles, genauer im legendären Laurel Canyon einfangen und kultivieren kann. Düster, hoffnungsvoll den Highway durch dunkle Gläser im Blick und aus dem Autoradio Musik von Joni Mitchell im Ohr. Laue Nächte unter hohen Palmen, irgendwo zwischen Liebe und Wahnsinn, Wüste und Meer. Lichter des Molochs funkeln in den Raum. Berlin lauscht der Brandung des Pazifiks. Band und Frontfrau haben sichtlich Spaß am Malen sphärischer Klanglandschaften. Dabei thront über allem Ilgen-Nurs melancholische Stimme, eingerahmt vom energetischen Wechselspiel mit Gitarrist Maximilian Barth. Groß ist das und mithin der eindrucksvolle Beweis, dass Ilgen-Nur völlig zurecht schon mal als Retterin des deutschen Indie-Rocks bezeichnet wird.
Am Ende gehen die Türen auf und das Publikum wird in den Berliner Nieselregen entlassen. Mit dem Hit »Easy Way Out« noch als Zugabe im Ohr, stört das heute niemanden. Bleibt zu hoffen, dass Ilgen-Nur im kommenden Jahr auch den Weg nach Dresden findet, vielleicht wieder in die GrooveStation, wo sie im Herbst 2019 ein denkwürdiges Konzert spielte.
Matthias Hufnagl (Text + Fotos)
Mehr zur Künstlerin: www.ilgen-nur.com/
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