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Heute will ich Leipzigerin sein – Ein Blick auf die Ereignisse vom 12. Januar in Dresden.
19:37 Uhr: Ich bin spät dran, aber noch nicht zu spät. Die Straßenbahn kippt mich am Bahnhof Mitte aus. Okay, die Innenstadt scheint dicht zu sein. Also laufe ich bis vor zum Postplatz.
Verwirrung: Ist das tatsächlich die PEGIDA-Veranstaltung, die sich da in einem nicht enden wollenden Strom nur 30 Meter entfernt an uns vorbeischiebt? Kombiniere – Polizisten in Kampfmontur, von denen die Gegegendemonstranten auf dem Postplatz eingekesselt werden, Deutschlandflaggen schwenkende Männer auf der anderen Seite – Ja das ist PEGIDA! Seit wann ist das klar? Wer hat das genehmigt? Ich suche mir einen erhöhten Platz direkt hinter der Polizeikette, mit ausgezeichnetem Blick auf die Parade. Und es ist im wahrsten Sinne eine Parade. PEGIDA hat anlässlich der Pariser Anschläge dazu aufgerufen, Flaggen mitzubringen und Trauerflor zu tragen. Seit Wochen zermartere ich mir den Kopf, was die Menschen wollen, die da gerade vorbeitraben. Was fordern sie, was wollen sie verändern? Es geht hier doch nicht nur um das Asylbewerberrecht. Überall konnte man lesen und hören, dass diese Problematik nur der vordergründige Sündenbock sei und die Menschen tiefgründig von ganz anderen Problemen bewegt seien.

Fassungslosigkeit: Jetzt hab ich sie direkt vor Augen, kann ihre Fahnen erkennen und Schilder lesen. Gebastelte Ortseingangsschilder aus ganz Sachsen, mit der Aufschrift BELEGT werden da getragen. Okay, jetzt wissen wir schon mal, was viele PEGIDA-Anhänger nicht wollen: Ausländer und Asylbewerber in ihrer Kleinstadt, ihrem Dorf. Ehrlich gesagt habe ich den Eindruck, dass sie nur provozieren wollen und sich aufplustern, aus welchen Gründen auch immer, weil sie endlich breite Beachtung geschenkt bekommen. Anders kann ich mir die vielen Frankreichflaggen, die Bekundungen »Je suis Charlie«, die Trauerflors, ja sogar Israelflaggen werden vorbei getragen, nicht erklären. Ja, die Gründe, es gibt immer gute und nachvollziehbare Gründe! Gerne würde ich Verständnis für die Leute aufbringen, dass sie sich nicht vertreten fühlen, übergangen, politische Ohnmacht und so weiter. Aber so? Seite an Seite mit gewaltbereiten Hooligans, um jeden Preis populistisch, provokant und instrumentalisierend bis unter die Gürtellinie? Nein tut mir Leid, der Zweck heiligt nicht jedes Mittel!

Schock: »Die laufen doch im Kreis, das hört ja nicht mehr auf!«, schreien einzelne in der Menge. Ja das möchten gerne alle hier glauben, aber die bittere Realität ist, dass es Massen sind! Wir überschlagen grob, wie viele da gerade vorbei ziehen. Nach einer Stunde unaufhörlichem PEGIDA-Strom: »Das müssen mindestens 30.000 gewesen sein!«. Die Polizei wird später 25.000 angeben. Wie auch immer, fest steht, dass wieder mehr Menschen zu PEGIDA geströmt sind, erheblich mehr. Nachdem die PEGIDA-Demo außer Sichtweite ist, erwachen wir wieder aus unserer Schockstarre. Was ist da gerade passiert? Musik dröhnt über den Postplatz und noch immer werden wir von der Polizei eingekesselt. Ich höre einen traurig sagen: »Wir gehen zwar unter, aber immerhin mit Sambamusik und gespielt guter Laune.« Alle sind beeindruckt von der Masse von PEGIDA und wenn man sich hier umsieht: nun ja, hier sind weniger, viel weniger, vielleicht ein paar tausend.

Unverständnis: Die erste Meldung, die mich erreicht: Leipzig 30.000 Gegendemonstranten, 2.500 PEGIDA-Anhänger. Und Dresden? Wo war hier der Aufruf von der Oberbürgermeisterin? In allen Städten, in denen sich die Bürgermeister klar gegen PEGIDA oder Ableger-Veranstaltungen ausgesprochen und zu Gegenaktionen aufgerufen haben, waren sehr viele Menschen auf der Straße: Leipzig, München, Hamburg. Was läuft da in Dresden schief? Warum wird hier für Sonnabend und nicht für Montag mobilisiert? Warum nicht klar gegen PEGIDA Frau Oberbürgermeisterin? Ich bin Dresdnerin, aber als ich nach Hause gehe, wünsche ich mir nur mal für heute Leipzigerin sein zu können. Ulrike Schirm




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