Anzeige



Gediegen – Das Ballett der Semperoper überrascht mit dem neuen dreiteiligen Abend nicht


21. Mai 2017 – Alles so schön harmonisch. »Vergessenes Land«, die für den Abend titelgebende Arbeit von Jiři Kylián von 1981, wird flankiert von einer älteren Choreografie, »Symphony in C« von George Balanchine (1947) und Forsythes »Quintett« (1993). Dieses Muster ist nicht neu und hat sich bewährt. Vor allem bringt es jene, die möglicherweise in erster Linie die aktuellste Arbeit sehen wollen, dazu sich auch den Klassikern zu widmen. Dieser neue Abend bringt keinerlei Ecken oder Kanten, alles eine runde Sache. Diese Harmonie kann man so oder so sehen. Kein Aufreger bedeutet auch keine Provokation. Aber man kann sich’s ja auch einfach nur mal bisschen schön machen.


Schön sind in jedem Fall die Ensemblepartien in Balanchines Arbeit anzusehen. Der Inbegriff dessen, was gemeinhin unter Ballett verstanden wird. Weiße Tutus und schöne Bögen. Und alles auf Spitze. Allerdings war das Corps de Ballet nicht in jedem Moment so synchron, wie man es an diesem Haus eigentlich erwarten darf. Das zeigt vor allem, wie schwierig gerade die »alten« Arbeiten zu tanzen sind. Als Sangeun Lee im zweiten Satz kurz auf der Nase landete, zogen nicht nur die Damen im Parkett die Luft scharf durch die Zähne ein. Beim Dresdner Publikum erlangt man in einem solchen Fall aber zusätzliche Sympathiepunkte. Kann doch mal passieren. Sollte es zwar nicht, aber Schwamm drüber.

Angesichts der Tatsache, dass die finnische Gastdirigentin Eva Ollikainen die Sächsische Staatskapelle äußerst lebhaft durch die Musik von Bizet geführt hat, gab es einige enttäuschte Gesichter, dass nicht auch Benjamin Brittens Komposition für »Vergessenes Land« live gespielt wurde. Nur ist das angesichts einzelner elektronischer Elemente so nicht umsetzbar. Trotzdem funktionierte das als äußerst dankbar geltende Stück, in dem gleich zu Beginn der Schritt weg von Balanchine hin zu zeitgenössischeren Ansätzen sichtbar wird: Die zwölf Tänzer haben dem Publikum den Rücken zugekehrt und schwanken leicht zur Begleitung pfeifender Windgeräusche. Dieses Stück lebt von seinen Duetten, die Brittens elegische Komposition fast illustrieren.

Forsythes »Quintett« hingegen ist mit seinem Titel fast schon ein wenig irreführend, bilden die fünf Tänzer so ja eigentlich nie eine choreografische Einheit. Das Quintett selbst findet sich allerdings in der hintergründigen Einheit der Tänzer, die fast gemeinsam eine Geschichte zu erzählen meinen. Die Besonderheit hier ist ganz zweifelsfrei der von Gavin Bryars in die Endlosschleife gehängte Gesang eines Obdachlosen, der mit sich steigernden Orchesterlinien überlegt ist. Diesen mesmerisierenden Klagegesang hatte Forsythe seinerzeit zum Abschiedsgeschenk an seine sterbende Frau gemacht. Dabei ist es aber komplett frei von Trauer. Die Kraft, die dieser Arbeit inne wohnt, ist immens. Es ist nicht zu übersehen, welche Intimität in der Arbeit miteinander hier den Tänzern abverlangt wird. Trotz des auf der Bühne als Ungeheuer prangenden Projektors gibt es vor den blassen Wänden keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Auch die Flucht in den Bühnenabgang im Boden ist keine Lösung. Die Öffnung spuckt die Tänzer sofort wieder aus. Und wer die Choreografie noch mit Jone San Martin im orangefarbenen Kostüm erlebt hat, kann deutlich feststellen, was es eben bedeutet, wenn ein Forsythe nicht von »seinen« Tänzern interpretiert wird. Hier meint man mehr Vorsicht in den Bewegungen zu finden, mehr Bedacht. Vor allem Christian Bauch mit seinen nicht enden wollenden Armen gelingt es, immer wieder die Besonderheiten der Formensprache Forsythes sichtbar werden zu lassen.


Am bekanntermaßen so dramatischen Ende stürzt sich Duosi Zhu immer wieder mit Verve rücklings in den Bühnenabgang, nur, um ein ums andere Mal von Michael Tucker sanft aber bestimmt zurück in die Bewegung geschoben zu werden. Bis sich langsam der Vorhang über diese nicht enden wollende Qual senkt. Eine Besucherin kommentierte die Arbeit mit den Worten, sie hätte am Ende fast geweint. Wieso nur fast?

Rico Stehfest / Fotos: Ian Whalen

Nächste Vorstellungen: 23. und 27. Mai und mehrere Vorstellungen im Juni



« zurück