»Für die Vögel«: Cage-Happening in Hellerau
Mit einem wahren Mammutprojekt über ein ganzes Wochenende feiern die diesjährigen TonLagen den 100. Geburtstag von John Cage, des großen amerikanischen »Komponisten« und Performance-Künstlers, der wie kaum ein anderer die Musik aus ihren rituellen und semantischen Zwängen gelöst, und so neue Erfahrungswege des Hörens eröffnet hat. Zum Auftakt des Jubiläumsprogramms in und um das Festspielhaus in Hellerau war zunächst ein Simultankonzert im großen Saal und den anliegenden Seitenbühnen zu erleben. Durch die offenen, mit einer ausgeklügelten Lichtregie farblich sehr schön aufeinander abgestimmten Räume konnte man ungezwungen wandeln oder verweilen. Das späte und merkwürdig entrückt anmutende Stück »Five« für fünf Spieler wurde von dem chinesischen »Ensemble Contempo Beijing« auf asiatischen Instrumenten interpretiert, die man hierzulande selten zu hören bekommt. Daneben konnte man das »Solo for Voice 8« aus den konzeptioneller angelegten »Song Books« von 1970 mehr sehen als hören: Die Performerin Kat Válastur saß dabei in anmutiger Betrachtung einer Tasse auf dem Boden, bevor sie die dann plötzlich zerschmiss und zwischen zwei gewaltigen Gebläsen unter unwillkürlichen Bewegungen ihre eigene Standfestigkeit erproben konnte. Aus dem großen Saal tönten derweil andere Nummern aus den »Song Books« herüber, die vom Ensemble »Auditivvokal« mit der gebotenen Melange aus Ernsthaftigkeit und Humor gesungen, gekrächzt, geklatscht, gequietscht und auf manch andere Weise dargeboten wurden. Besonders einprägsam waren die Vokalvariationen über den Satz »The best form of government is no government«. Danach konnte man sich durch das Los seinen Abendparcours bestimmen lassen. Leider gab es hierbei nur zwei Varianten, wodurch das von Cage in die Kompositionstechnik eingebrachte Zufallsverfahren und die Spannung zwischen Determination und Freiheit nur schwach zur Geltung kam. Schade auch, dass man auf diese Weise nicht alle Aufführungen besuchen konnte. Neben einigen konzeptionell interessant bis witzigen Stücken wie »Variations III«, das vom Elole-Klaviertrio aufgeführt wurde, bescherte das »Ensemble Garage« mit den Stücken »One4«, »Two« und »Seven« für einen, zwei, bzw. sieben Musiker dem lauschenden Auditorium eine kleine musikalisch-akustische Sternstunde. Gleichermaßen für Cage-Interessierte wie -Kritiker wurde eigens ein »Kunstwissenschaftliches Beratungsbüro« eingerichtet, in dem man entweder alles über Cage erfahren, oder seine grundlegende Skepsis zum Ausdruck bringen konnte. Um Mitternacht wurden dann alle Einzelaufführungen auf atemberaubende Weise in einem großen »tutti furioso« übereinandergeblendet – ein Hörerlebnis, das man sich gern länger gewünscht hätte. Nachdem man sich so gründlich die Ohren hat durchpusten lassen können, wirkten Bachs »Goldberg-Variationen« um halb eins ungemein konventionell und bieder, zumal die Pianistin Psi-Hsen Chen sich wenig um Detailzeichnung bekümmerte und den Zyklus in einem virtuosen Gerausche à la Franz Liszt untergehen ließ.
Auf die Fortsetzung und die Programmpunkte des heutigen Tages, u.a. »4:33« mit der Dresdner Philharmonie darf man gespannt sein. Schon jetzt ist klar, das Projekt »Für die Vögel« ist ein denkwürdiger Höhepunkt dieses Musikjahres. Aron Koban




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