Ein Verbrecher mit vielen Gesichtern: Der »Dracula« der Cie. Freaks und Fremde im Societaetstheater
28. September 2017. Er ist ein Blutsauger, Menschenfresser und Verführer, lebt zu Einsamkeit verdammt in der Dunkelheit oder als Eroberer im Lichte der Weltgeschichte. Mal tritt er als eleganter Edelmann in Erscheinung, mal als Monstrum und Bestie in Menschengestalt. Der Vampir Dracula oder auch Fürst Vlad III. Drăculea, genannt der Pfähler, nimmt in der Literatur, Theater- und Kinogeschichte unzählige Rollen an, die sich immer irgendwo zwischen der Faszination am Bösen und kommerziellem Kitsch bewegen.
Die Cie. Freaks und Fremde hatten daher nicht den Anspruch eine weitere Gruselgeschichte in Form einer linearen Handlung zu erzählen. Stattdessen füllten sie ein Kuriositätenkabinett mit verschiedensten Lesarten der Figur des Dracula, die auch auf die Entstehung der ersten Vampirgeschichte Bezug nimmt. Kurioserweise geht die nämlich auf ein Erdbeben in Indonesien im Jahre 1815 zurück. Aufgrund der aufgewirbelten Staubmassen verfinsterte sich die Sonne und der nachfolgende Sommer in Europa fiel aus. Zu dieser Zeit wollten aber gerade Mary Godwin und ihr späterer Ehemann Percy B. Shelley, sowie Lord Byron und John W. Polidori ihre Sommerferien am Genfer See verbringen. Weil es so kalt und düster war, vertrieben sie sich die Zeit mit dem Dichten von Gruselgeschichten. Es entstand Mary Godwins »Frankenstein« und die Erzählung »Der Vampyr« von Polidori, noch lange vor Bram Stokers »Dracula«.
Das ist aber nur eine Facette des Stücks der Freaks und Fremden, die collagenartig Spielräume erschaffen und diese mit Texten von Novalis, Stoker, Baudelaire, Houellebecq und anderen unterlegen. Gewohnt abwechslungsreich und fantasievoll dargestellt mit Puppen, Schauspiel, Musik, Film- und Bildprojektionen, die Raum für Interpretationen lassen. Allerdings ist dabei nicht zu leugnen, dass das Stück auch seine Längen hat und man sich gelegentlich fragt, was hier eigentlich passiert. Wenn man sich aber davon lösen kann, nach einem roten Faden zu suchen, wird »Dracula« zu einem humoristischen Stück freier Assoziation, das dem Betrachter einiges an Denkfähigkeit abverlangt.
Reflektionen über die Faszination des Grauens stehen ebenso auf dem Spielplan wie Betrachtungen zu den Phänomen des Bluttrinkens. Auch Ideen anderer Vampirgeschichten werden sinnvoll weitergesponnen. So wird der Tristesse, die sich in Folge der eigenen Unsterblichkeit auf die Ewigkeit ausdehnt, mit dekadenten Rollenspielen begegnet. Der Mangel des Alterns wird durch das Nachspielen von Altersheimsituation Abhilfe geschaffen und der Absurdität des Lebens wird einfach noch mehr Absurdität entgegengesetzt.
»Freakig« trifft das Stück wohl am ehesten und meint damit ebenso befremdlich wie experimentell. Das Stück ist auf jeden Fall nichts für jedermann. Wer aber nach dem Stück noch Klärungsbedarf hat, kann mit den Schauspielern ins Gespräch kommen.
Stephan Zwerenz / Fotos: André Wirsig
Nächste Vorstellungen: 29.9. und 23.11.2017 Societaetstheater
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