Dem König eins husten – »Antigone« zeigt am tjg noch immer ihren Starrsinn
19. Januar 2019 – Die neue Inszenierung der »Antigone« am tjg ist kurz. Es dauert nur knapp 80 Minuten, dann sind drei Personen tot, der Tyrann liegt lebendig, doch gebrochen am Boden, und nur der Fünfte im Bunde – ein einfacher Wächter, Mann des Volkes – kommt mehr oder minder ungeschoren davon.
Die Geschichte ist bekannt: Nach dem Tod Polyneikes‘ im Kampf um den Thron von Theben lässt sich dessen Feind und Gewinner Kreon als König ausrufen. Er ordnet das entstandene Chaos schnell, indem er Polyneikes zum Feind der Stadt erklärt und ihm ein ordnungsgemäßes Begräbnis verweigert. Polyneikes‘ Schwester Antigone akzeptiert dieses Verbot nicht und stellt sich öffentlich gegen den Machthaber: Den Toten sei immer Ehre zu erweisen. Für diese Überzeugung geht sie schließlich selbst in den Tod.
Es ist dieser Gegensatz zwischen einem gottgegebenen Wertesystem und einer menschgemachten Gesetzgebung und Tagespolitik, aus dem der Konflikt des Stückes entsteht. Sophokles lässt keinen Zweifel daran, dass seine Sympathie Antigone gilt, die zwar autonom handelt, sich jedoch den Göttern unterwirft, wogegen Kreon für seine Selbstüberhöhung bestraft wird: Er verliert Sohn und Frau.
Es ist nicht ganz leicht, diese Götter ins Heute zu transferieren. Nils Zapfe wählt in seiner Inszenierung den Weg der Medienkritik: Fernsehen und Social Media als digitale Echokammer, die sowohl Freiheiten schafft als auch Druck erzeugt. Auf zwei Bildschirmen kommentiert ein Chor via Twitter die Reden und Handlungen der Protagonisten, mal zustimmend, mal kritisch, im Lauf des Stückes zunehmend hämisch. Wie man es aus den sozialen Netzwerken kennt, bleibt auch hier von gehässigen Hashtags keiner verschont. Vor allem Kreon (#tinyking) scheint von diesen Kommentaren zunehmend verunsichert zu sein. Die Götter durch die Medien zu ersetzen, bringt die Figur der Antigone in Schwierigkeiten. Zu wem soll sie beten, wenn der Himmel leer ist? Von wem spricht sie, wenn sie »Götter« sagt?
Die Inszenierung legt ein ordentliches Tempo vor, dem die Schauspieler aber problemlos folgen können. Lola Mercedes Wittstamm gibt Antigone sehr menschlich. Da ist keine Heldin, die große Monologe hält, sondern eine junge Frau, die sich im Unglück gerade, aber auch gerade so hält. Ulrich Wenzke ist ein sehr souveräner, vernünftiger Kreon, der eher wie der hippe CEO eines größeren Unternehmens wirkt, mit den Händen in den Hosentaschen und der schnieken Ismene (Ulrike Sperberg) als seine PR-Managerin. Dass sich dieser clevere Typ zu einem starrsinnigen Alten entwickelt, der sich von Drohungen aus dem Internet irritieren lässt und in Panik ausbricht, ist nur schwer nachvollziehbar. Insgesamt hätte dem Stück etwas mehr Raum für die Entwicklung der Figuren gut getan.
Trotzdem nimmt das Stück die Zuschauer mit. Die antiken Verse, die auch in der Nachdichtung von Walter Jens zum Teil sehr spröde und aus der Zeit gefallen wirken, werden vom Ensemble durch spontane Improvisationen aufgebrochen, in denen es das Publikum ins Geschehen hereinholt. Jeder, der im Saal sitzt, gehört dazu, gehört zum Volk der Stadt Theben und ist aufgefordert, sich einzubringen, Fragen zu beantworten, Stellung zu beziehen. Antigone fordert: Wer auf meiner Seite ist, der soll aufstehen! Der Twitter-Chor fragt: Wer wagt es, Kreon eins zu husten? Und das Volk steht auf und hustet.
Annett Groh / Fotos: Marco Prill
nächste Vorstellungen im tjg: 19./22.-25. Januar, 13.-15. März 2019
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