»Das, was wir leben, ist eine Hölle«.
Tom Lanoyes »Mamma Medea« feiert Premiere im Schauspielhaus
Gerade noch rechtzeitig, ohne den Spielplan umwerfen zu müssen, feierte »Mamma Medea« mit vier Tagen Verspätung wegen Erkrankungen im Ensemble, am Dienstag, den 27. Februar 2024, Premiere.
Videoprojektionen würde es geben, klar, die Spezialität des Staatsschauspiels. Ansonsten hinterließ die Vorankündigung gemischte Gefühle: »Zeitgenössische Inszenierung«, hieß es.
Tatsächlich gelingt es Tom Lanoye aber, fest mit einem Bein im hier und jetzt zu stehen, ohne dabei den Anschluss an das antike Vorbild zu verlieren.
Im Stück grenzt er die Kolcher und die Griechen nicht nur sprachlich voneinander ab. Die einen fabulieren in archaischen Blankversen, während die letzteren sprechen wie du und ich. Auch kostümtechnisch bilden sie Extreme: Gegenüber den in klassischem cremeweiß gekleideten Kolchern erinnern die Griechen an die zeitstehlenden »Grauen Herren« aus Momo. Untermalt wird die Neuauflage des antiken Klassikers durch die minimalistische Vertonung von Fabian Ristau am Schlagzeug.
»Mamma Medea« spielt mit Fremdheit, nicht nur durch geographische Entfernung, sondern auch durch die Unvereinbarkeit von Lebensentwürfen und Überzeugungen. Lanoyes Heransgehensweise: Medea und Jason sind gleichberechtigt; nicht nur als Ehepartner, sondern auch in gleichem Maße stur, amoralisch und herrschsüchtig. Dass dieser Blick auf den Stoff ein anderes Ende nach sich zieht als bei Euripides, findet Lanoye nur konsequent. Er selbst kommt aus dem Flämischen, hat das Stück ursprünglich für ein befreundetes Schauspielerpaar geschrieben. Er Holländer, sie Flämin. Wie gemacht also, um die sprachliche Differenz von Jason und Medea porträtieren zu können.
Euripides Erweiterung des Medea-Mythos um die Komponente des Kindermordes bleibt zeitlos (in älteren Fassungen des Stoffes wurden die Kinder von den Korinthern aus Hass gegen die Barbaren oder aus Rache für den Mord an Kreon erschlagen). Auch Henriette Hölzel löst den »Medea-Effekt« aus: Man kann sich nicht helfen, bei aller moralischen Verwerflichkeit fühlt man in sich dieselbe Wut aufsteigen, die auch sie in sich trägt, und sie fühlt sich richtig an, gerechtfertigt. Matthias Reichwalds Jason hingegen wähnt sich als der rationale Gegenpart. Gönnerhaft stimmt er zuerst zu, Medea mit nach Jolkos zu nehmen und später, sie nicht vom korinthischen Hof vertreiben zu lassen, wo er um Kreons blutjunge Tochter Kreusa (Leonie Hämer) anhält.
Medea und Jason bieten einander die Stirn, unausweichlich, bis zum bitteren Ende. Verpflichtungen, Untreue, Streit um die gemeinsamen Kinder, all das ist heute so aktuell wie 431 v.Chr., als Euripides sein berühmtes Drama verfasste (das damals im Übrigen auf dem Dramenwettbewerb, auf dem es vorgestellt wurde, den letzten Platz belegte). »Das, was wir leben, ist eine Hölle«, sagt Jason einmal. Und diese Hölle breitet sich direkt vor unseren Augen aus. Und wir können nicht anders, als Partei zu ergreifen.
Text: Rebecca Klärner / Fotos: Sebastian Hoppe
»Mamma Medea« im Schauspielhaus ist wieder zu sehen am: 6./28. März, 11./30. April, 5. Juni, jeweils 19.30 Uhr. Infos & Tickets: www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/a-z/mamma-medea/
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